Fasziniert – leichtgläubig – Da Vinci

Regisseur Ron Howard am Set von THE DA VINCI CODE - SAKRILEG. © 2006 Sony Pictures Releasing GmbH

Mit dem Film „The Da Vinci Code“ tritt die Vermarktung eines Geflechts von irren Behauptungen und Spekulationen um Jesus, Maria Magdalena, den Gral und Geheimgesellschaften in eine neue Phase. Was macht uns anfällig für derartige Geschichten?

Alles begann mit den Phantastereien eines Möchtegern-Königs. Pierre Plantard gehörte wohl zu jenen Franzosen, die sich nicht mit dem Verlust des Kolonialreichs nach 1945 abfanden. Jedenfalls wollte er den frühen Ruhm Frankreichs erneuern, und wenn die Gegenwart von de Gaulles Republik seinen verstiegenen Sehnsüchten nach einem ruhmvollen, gesalbten Königtum keine Stütze bot, musste eben die ferne Vergangenheit herhalten.

Phantast gründet Verein

Der Nationalist und katholische Traditionalist Plantard (1920-2000) sah Frankreich von Juden und Freimaurern bedroht. Von Paris nach Annemasse bei Genf gezogen, gründete er 1956 die „Prieuré de Sion“, einen Verein, der sich gemäss Statuten für Billigunterkünfte einsetzte. „Sion“ bezog sich auf einen Berg in der Region. Doch Plantard brauchte den Begriff zur Propagierung seines Grössenwahns.

In den 60-er Jahren brachte er von einem Helfer gefälschte „Dossiers“ in Umlauf, die ihn selbst als Nachfahren der allerersten fränkischen Dynastie der Merowinger erscheinen liessen. Die Merowinger, die vom 5.-8. Jahrhundert herrschten, führten in Nordfrankreich das Christentum ein.

Templer instrumentalisiert

Zudem behauptete Plantard kühn, der mittelalterliche Ritterorden der Templer (der auf dem Berg Zion in Jerusalem sein Quartier hatte) sei nur eine Tarnorganisation der Geheimbruderschaft, der Prieuré, gewesen, die schon 1099, im Jahr der Eroberung Jerusalems, gegründet worden sei.

Später wurde der Lügenteppich verflochten mit den Behauptungen eines geschäftstüchtigen Gastwirts in Rennes-le-Château am Rand der Pyrenäen. Dieser gab vor, der Erbauer seines Gasthofs, der Priester Bérenger Saunière, habe Schätze der im Mittelalter verfolgten Katharer entdeckt. „Pergamente“ tauchten auf, die Saunière angeblich bei Renovierungsarbeiten in seiner Kirche gefunden haben sollte; sie legten nahe, dass Nachkommen der merowingischen Linie fränkischer Könige noch in Frankreich lebten …

Schwindlerei entlarvt – und weitergesponnen

Französische Journalisten entlarvten Plantard und seine Helfer als Schwindler, doch da war bereits ein angelsächsisches Trio angetreten, um die Merowinger-Mär eigenwillig weiterzuspinnen: Henry Lincoln, Michael Baigent und Richard Leigh. Ihr Gral-Buch von 1982 (deutsch „Der Heilige Gral und seine Erben“) kombinierte mit Plantards Prieuré-Stammbaum die Behauptung, die Geheimgesellschaft bewache noch immer Nachfahren der Nachfahren von Jesus und Maria Magdalena, welche als Merowinger regierten. Und: „Wir sind der Überzeugung, dass die Prieuré die theokratischen Vereinigten Staaten von Europa anstrebt … regiert von einer Dynastie, deren Herkunft auf Jesus zurückgeht.“

Es blieb Dan Brown überlassen, diese gegen historische Wahrheitssuche immunen Hirngespinste in einen Thriller zu verpacken. Dass „The Da Vinci Code“ zum Weltbestseller wurde, erstaunte den Autor selbst im höchsten Mass. Der Erfolg mag zum einen mit Browns Schreibkunst und der Ausbeutung grandioser europäischer Kunstwerke für die Romanhandlung zu tun haben (seine Frau Blythe ist Kunsthistorikerin).

Wenn Erfundenes besser mundet…

Zum andern erweist sich in einer unübersichtlich globalisierten Welt die Faszination von Verschwörungstheorien und Enthüllungen. Süffig präsentiert, läuft Geheimnisvolles und kaum Glaubhaftes dem Realitätsgebundenen und Faktischen den Rang ab – als willkommene Abwechslung auf dem Menüplan: Was einer behauptet, könnte eher wahr sein, als was man immer glaubte. Hat ‚die Kirche’ vielleicht schon früh geschummelt? Jedenfalls – das suggerieren Brown und andere Vertreter der Mystery-Zunft – sollte man das Neue einbeziehen, die Sache aus einem anderen Blickwinkel betrachten…

Künder des Diesseits

Lässt sich der Welterfolg des „Da Vinci Code“ vielleicht erklären mit einer Bereitschaft, die in gewissem Sinne auch esoterische Sucher an den Tag legen? Sie neigen dazu, auf Erdichtetes zu setzen, sich den „Kündern des Jenseits“ (Campiche) anzuschliessen, die hintergründige spirituelle Dimensionen zu öffnen verheissen.

Allerdings enthüllt sich der staunenden Sophie Neveu nichts Derartiges, sondern dass Jesus bzw. sein innerster Kreis dynastische Ambitionen verfolgt und durch Maria Magdalena ein irdisches Herrschergeschlecht begründet hätte. Was wäre dann aber das „Himmelreich“, für das Jesus alles gab, auch sein Leben? – Nein, Dan Brown ist kein Künder des Jenseits, sondern Romancier des platten Diesseits.

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Datum: 24.05.2006
Autor: Peter Schmid
Quelle: Jesus.ch

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