Rund 20’000 albanische Grossfamilien sandten in jenen Monaten Vertreter in so genannte Versöhnungsräte, reichten sich die Hände und vermählten ihre Kinder untereinander, um die Blutrache ein für alle Mal zu beenden. Höhepunkt der Bewegung war eine Feier auf dem "Fushe e pajtimit" (Versöhnungsfeld), etwa auf halbem Weg zwischen Pristina und Skopje. Mit dabei die intellektuellen Wegbereiter dieser wohl einmaligen Initiative: Anton Cetta, katholischer Literaturwissenschaftler an der Universität Pristina, und Don Lush Gjergji, rechte Hand des damaligen Apostolischen Administrators in Prizren. Die Aktion ist bis heute unvergessen. Sie hat den Katholiken, die mit 60’000 Mitgliedern nur etwa drei Prozent der Bevölkerung stellen, einen enormen Vertrauensvorschuss eingetragen. Viele Muslime traten damals zum Christentum über. Die Katholiken als Experten für Versöhnung, das ist haften geblieben. Tatsächlich bilden die Katholiken eine Art natürlicher Brücke zwischen den verfeindeten Kriegsparteien: Sie sind zum allergrössten Teil Albaner, "Blutsbrüder" jener albanischen Muslime, die dem Katholizismus nach Schlacht auf dem Amselfeld 1389 allmählich den Rücken kehrten und fortan einem moderaten, eher dem Gefallen der türkischen Besatzer als religiösem Eifer folgenden Islam anhingen. Zugleich werden die Katholiken als christliche "Glaubensbrüder" der orthodoxen Serben gesehen, deren Krieg und Unterdrückungspolitik gegen die Kosovo-Albaner nicht vergessen ist. So sind bei den schwersten ethnischen Spannungen im Kosovo seit fünf Jahren in den vergangenen Tagen mindestens 31 Menschen ums Leben gekommen. Versöhner kann das Nachkriegs-Kosovo beileibe gebrauchen. Das staatliche Bildungssystem liegt nach dem Untergang von Milosevics Apartheidregime noch weitgehend brach. Die Wertevermittlung ist massgeblich auf westlichen Konsumismus und das Prinzip des Sozialdarwinismus reduziert. Zwar hat die Regierung kein Geld, um die fast mittellose Kirche zu fördern. Allerdings übertrug sie ihr ein Grundstück von 13’000 Quadratmetern bebaubarer Fläche im Herzen der Hauptstadt Pristina, das die Träume des Apostolischen Administrators, Bischof Marko Sopi, höher fliegen lässt. Bislang in der im Süden gelegenen Provinzstadt Prizren ansässig, arbeiten Sopi und sein Stab intensiv am Projekt "Präsenz in der Hauptstadt". Zwar gibt es unter den rund eine halbe Million Einwohnern von Pristina nur rund 1’250 Katholiken. Dennoch soll nach den Vorstellungen der Kirchenführung auf dem Filetstück gegenüber der Nationalbibliothek zwischen dem Bill-Clinton-Boulevard und der Mutter-Teresa-Strasse ein veritabler Katholiken-Komplex entstehen: mit Kathedrale, Bischofshaus, Grundschule, Schwesternheim, Kindergarten, Begegnungszentrum, Bibliothek und Theater. Wenig Gehör finden dabei warnende Stimmen, dass für ein solches Grossprojekt, das einer politischen Manifestation gleichkommt, möglichst viele gesellschaftliche Kräfte mit ins Boot geholt werden sollten. "Man muss die Leute einbinden, nicht überrollen, wenn dort nicht irgendwann eine Handgranate hineinfliegen soll", meint ein Laienkatholik aus der Hauptstadt. Dabei steht ein warnendes kirchenpolitisches Mahnmal nur wenige hundert Meter von dem geplanten Baugrund entfernt: In den 90er Jahren scheiterte hier der Versuch der Serben, noch einen politisch motivierten religiösen Pflock einzurammen. Die orthodoxe Bauruine mit dem goldenen Dachkreuz harrt als Leergebäude einer Umwidmung als Gedenkstätte – oder aber möglicher Angriffe albanischer Extremisten. Für den Fall X – den Bau einer katholischen Kathedrale – haben die radikalen Muslime, die derzeit mit Geldern aus Saudi-Arabien die Region Pristina mit Dutzenden neuer, freilich leer stehender Moscheen überziehen, bereits einen noch viel grösseren Bau angekündigt. Doch im Kleinen gedeiht auch echte Versöhnungsarbeit. Bei Don Lush, seit 1992 Landpfarrer im abgelegenen Binca im Südosten des Landes, sitzen in jedem Sonntagsgottesdienst auch bis zu 50 Muslime, vor allem junge und intellektuelle – weil sie sich hier ernst genommen fühlen. Sein Engagement hat Don Lush den Vorwurf eingetragen, "ein Priester für Muslime" zu sein; ein Vorwurf, der ihn selbst freut. Autor: Alexander BrüggemannVersöhnung
Grosses katholisches Zentrum – eine Provokation?
Konkurrenz
Quelle: Kipa (gekürzt)
Datum: 23.03.2004