Frankreich: „Nicht weghören, wenn Juden beschimpft werden!“

Quelle: www.smilespirit.ch

Paris – Letztes Jahr haben antisemitische Drohungen und Anschläge in Frankreich im Vergleich zum Vorjahr auf das Sechsfache zugenommen. Die staatlich eingesetzte nationale beratende Menschenrechtskommission (CNCDH) hat Kenntnis von 313 registrierten rassistischen Gewalttaten und von 992 Fällen von Beschimpfungen, Graffiti und Drohungen. Zwei Drittel dieser Handlungen (193, bzw. 731) waren antisemitischer Natur.

Die meisten Taten werden jungen Männern arabischer Herkunft zur Last gelegt, wie die BBC berichtete. Die Kommission bringt die steigende Gewalttätigkeit mit der Eskalation des Nahostkonflikts in Verbindung. Eine gute Nachricht hat der Bericht: Er hält weniger rassistisch motivierte Gewalttaten von älteren Gruppen der extremen Rechte fest.

Grösste jüdische Gemeinschaft in Europa

Laut Medienberichten sind viele französische Juden erschüttert über die Gewalt gegen Rabbiner, Synagogen und jüdische Schulen. Die Kommission schreibt: „Wenn die Zunahme der Attacken gegen Immigranten schon zu denken geben muss, so ist die Menge der Übergriffe gegen die jüdische Gemeinschaft geradezu explodiert.“

Man befürchtet in Frankreich, dass durch den Irak-Krieg (die meisten Medien folgen Präsident Chirac und der Regierung auf ihrer scharf anti-amerikanischen Linie) die Spannungen zwischen Juden und Muslimen zunehmen. Die halbe Million Juden im Land stellen die grösste jüdische Gemeinschaft in Europa dar; die Zahl der Muslime wird auf über fünf Millionen geschätzt.

Am letzten Samstag wurden vier Juden, die an einer Anti-Kriegs-Demo von 90‘000 Personen in Paris teilnahmen, mit Metallstangen angegriffen. Malek Boutih, Leiter der Organisation ‚SOS Racisme‘, erklärte dagegen, die Stellungnahme Frankreichs gegen den Krieg habe die Spannungen im Land reduziert und die nationale Gemeinschaft gefördert.

Antisemitismus in den Schulen verharmlost...

Der Erziehungsminister Luc Ferry kündigte im Februar Massnahmen in den Schulen an, um dem Antisemitismus zu wehren. Er forderte die Lehrer auf, bei judenfeindlichen Äusserungen nicht mehr wegzuhören. Es sei beunruhigend zu sehen, wie Antisemitismus neuerdings banalisiert werde. Eine neue Welle der Feindschaft gegen Juden werde von gewissen Erwachsenen offensichtlich geduldet; dies dürfe nicht sein, sagte Ferry.

In Paris musste ein 11-jähriger jüdischer Schüler die Schule wechseln, nachdem Kinder arabischer Herkunft ihn bedrängt hatten. Lehrer von Klassen mit vielen arabischen Schülern haben in jüngster Zeit Mühe bekundet, Themen wie den Holocaust, den Krieg in Algerien und den Palästinenser-Konflikt angemessen zu behandeln. Mehr und mehr Schüler wollten sich mit der Judenvernichtung durch die Nazis gar nicht befassen.

...weil nicht von Rechtsextremen genährt

Laut Erziehungsminister Ferry scheint Antisemitismus heute eher toleriert zu werden, „weil er aus einer Quelle kommt, die angeblich eher annehmbar ist als die alte extreme Reche – der arabisch-muslimischen Welt“. Nun droht Schülern bei rassistischem Verhalten der Verweis von der Schule oder gar ein Strafverfahren.

Frankreich muss nach Ferry den säkularen, von allem Religiösen freien Charakter des Staats betonen: „In einer explosiven Lage sollten wir im Stande sein, allen Schülern zu sagen: ‚Legt eure Kreuze ab, die Kopftücher, die Totenschädel-Mützen – wir hören damit auf und folgen den Regeln der Republik‘.“

Datum: 29.03.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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