Indonesische Christen in Angst vor Mördergangs

Armutsfaktor Korruption und Polemik gegen George Bush

Poso: Randalierer zünden ein Auto an.
Sulawesi
Indonesische Mutter mit Kind

Eine Serie von Mordanschlägen hat die Christen auf der nordindonesischen Insel Sulawesi in Angst versetzt. In der Nacht auf Sonntag, 12. Oktober, überfielen Maskierte drei von Christen bewohnte Küstendörfer bei Poso und töteten mindestens neun Personen. Augenzeugen sagten, sie hätten Waffen gesehen, die bei den Sicherheitskräften in Gebrauch sind. Zwei Tage zuvor waren drei Christen bei einem Überfall in Beteleme im benachbarten Distrikt Morowali umgekommen.

Am 17. Oktober erfolgte ein weiterer Angriff von unbekannten Gangs in der Umgebung der Grossstadt Poso. Im Dunkel der Nacht wurde eine kleine Sägerei in Gebrangejo, einem mehrheitlich muslimischen Ort, in Brand gesetzt und ein Lastwagen mit Treibstoff übergossen. Die Angreifer feuerten Schüsse ab; es gab keine Opfer. Der Polizeichef der Insel äusserte die Vermutung, die Täter hätten unter den Einwohnern Wut auf Christen provozieren wollen.

Intensive Ermittlungen?

Am Montag teilte die Polizei mit, sie habe im Laufe ihrer Ermittlungen fünf Verdächtige erschossen und nach einer Jagd im Dschungel bei Poso 13 Personen festgenommen. Sie beschlagnahmte Gewehre, Macheten, Munition, Sprengsätze und Feldstecher. Die Leichname von drei getöteten Männern wurden ins Spital von Poso überführt, was die Spannung in der Stadt gleich ansteigen liess.

Laut der Jakarta Post vermuten die Behörden, dass die Verantwortlichen für die Anschlagserie von einem anderen Teil des Inselreichs nach Sulawesi kamen. Es seien wohltrainierte Fremde, die sich einiger Einheimischer bedient hätten. Zwei Verhaftete stammen, wie mitgeteilt wurde, aus Ostjava, aus der Gegend, wo die Bali-Attentäter Amrozi, Ali Imron und Ali Ghufron herkommen. Andere sind einheimische Muslime.

Hohe Polizeibeamte versprachen am Wochenende eine intensivierte Jagd auf die Täter in den Dschungel- und Hügelgebieten der grossen Insel, um die Ausbildungslager zu finden.

Lange christliche Tradition auf Sulawesi

Auf Sulawesi, wo christliche Kirchen seit vielen Generationen heimisch sind, waren zwischen 1999 und 2001 etwa 2'000 Personen bei Überfällen und Kämpfen zwischen Jihad-Milizen und christlichen Selbstschutzgruppen ums Leben gekommen. Der indonesische Wohlfahrtsminister Yusuf Kalla vermittelte Ende 2001, nach der Vertreibung Tausender von Christen aus ihren Dörfern, ein ‘Friedensabkommen’ zwischen den Jihad-Milizen und den Christen. Kalla verneinte, dass die Täter aus diesem Umfeld extremistischer Organisationen stammten. Die Anschläge seien „von einer gewissen Gruppe” gut geplant und verübt worden.

Das Aufflammen der Gewalt auf der Insel folgt auf den Rückzug von über 1’000 Armeesoldaten im Sommer. Damals hatte die indonesische Regierung den religiös gemischten Distrikt Poso im Herzen von Sulawesi als sicher erklärt. Nun sieht es wieder anders aus. Immerhin macht die Armee Anstalten, entschieden gegen die Gewalttäter vorzugehen. Auf das Gerücht hin, auf das Dorf Tabalo bei Poso stehe ein Angriff bevor, sandte die Armee drei Lastwagen mit Soldaten hin. Die Armeeführung will nun während sechs Monaten mit Kampftruppen intensive Operationen im Unruhegebiet führen, um ihr ein erneutes Abgleiten in den Bürgerkrieg zu ersparen.

Scharfe Polemik gegen Bush

Gespräche mit US-Präsident Bush sind verschwendete Zeit. Dies erklärte ein Sprecher der indonesischen Muslime am Montag, zwei Tage vor dem Besuch Bushs im Land, zu dem auch ein Gespräch mit der indonesischen Präsidentin Megawati auf Bali gehört. Bush betreibe Staatsterrorismus und begehe Verbrechen gegen die Menschheit, „denn er hat andere Völker und Nationen vernichtet“, sagte Din Syamsuddin, Generalsekretär des Rats der Islamgelehrten (MUI) zu Presseleuten.

Syamsuddin gehörte nicht zu den vier Muslimführern, die auf Vorschlag der Regierung in Jakarta von Bush zum Gespräch geladen wurden. Er warf Bush vor, sich als Lehrer aufzuspielen und Indonesiens Muslime spalten zu wollen. Bush solle stattdessen ihre Forderungen ernst nehmen und die Truppen aus den „besetzten Gebieten“ Irak und Afghanistan abziehen. Die USA benutzten den Krieg gegen den Terrorismus als Vorwand, um die Zerstörung des Islam zu betreiben, sagte Syamsuddin, Vizechef der Muhammadiyah, der zweitgrössten Sozialorganisation des Landes.

Ahmad Syafii Maarif, der Chef der Muhammadiyah, leistete dagegen der Einladung zum Gespräch Folge, da es besser sei, direkt mit Bush zu sprechen „als von hinter dem Berg ihm die Faust entgegenzustrecken“. Aussenminister Wirayuda verwies auf das Vorbild des Religionsgründers Muhammad, der sogar mit seinen Feinden Gespräche geführt habe – „und wir sehen Bush nicht als Feind an“.

Zuwenig Wirtschaftswachstum, um die Armut zu mindern

Die Erholung der indonesischen Wirtschaft, die mit dem Fall des Diktators Suharto und der folgenden Staatskrise 1998 abgestürzt war, genügt nicht, um die schreiende Armut im Land zu mindern. Der zuständige Minister sagte, Indonesien brauche nicht 3 Prozent Wachstum (2002) oder 4 Prozent, wie für dieses Jahr prognostiziert, sondern mindestens 7 Prozent.

Sonst nehme die Zahl der Armen weiter zu, sagte der Minister. Sie beträgt gemäss staatlichen Angaben derzeit 38,5 Millionen. Nach der Messlatte der Internationalen Arbeitsorganisation ILO (weniger als zwei Dollar Tageseinkommen) sind allerdings nicht weniger als 110 Millionen Indonesier arm. Jedes Jahr drängen im Inselreich mit der extrem dicht bevölkerten Hauptinsel Java 2,5 Millionen neue Arbeitsuchende auf den Markt. Indonesien zählt über 210 Millionen Einwohner.

Kernproblem Korruption

Die wirtschaftliche Entwicklung leidet unter den Terroranschlägen (Bali, Marriott-Hotel Jakarta), welche ausländische Investoren abschrecken. Neuen Arbeitsplätzen steht aber primär die allgegenwärtige Korruption im Weg. Bestechung führt höchst selten zu einer Verurteilung vor Gericht. Dies hält die Weltbank in einem am Montag veröffentlichten Bericht fest.

„Die informellen Regeln, zumeist ein Erbe des Suharto-Regimes, bestimmen (das Geschäftsleben) immer noch, ebenso viele damalige Praktiken, während die neuen formellen Regeln erst noch umgesetzt werden müssen“, schreibt die Weltbank. Die mit der Durchsetzung dieser neuen Regeln betrauten Instanzen seien schwach, schlecht finanziert, ungenügend ausgerüstet und selbst von Korruption betroffen.

Dezentralisierung schafft neue Politikerklasse

Die Dezentralisierung, welche unter der amtierenden Präsidentin Megawati fortgeführt wird, hat in Indonesiens 400 Distrikten eine neue Klasse von Politikern entstehen lassen. Die Beamten, die für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen hätten, seien noch weitgehend vom Denken der Suharto-Zeit bestimmt, sagen die Verfasser des Berichts. Angesichts der Schwäche des Staats, der Exzessen nicht wehren könne, sei die Verlockung, sich zu bereichern, sehr gross.

Aufgrund der javanischen Kultur wird in Indonesien traditionell anders Rechenschaft gefordert und gegeben als in westlichen Ländern. Während der 32-jährigen Suharto-Herrschaft sahnten Günstlinge des Diktators, namentlich Angehörige seiner Familie, schamlos ab und steckten Milliarden in ihre Taschen.

Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International listet Indonesien unter den korruptesten Ländern der Welt auf. Die Weltbank schlägt vor, lokalen Komitees mehr Aufsichtskompetenzen über staatliche Entwicklungsgelder zu geben. Weiter müsse der Bestechung von Politikern bei Wahlkämpfen gewehrt werden.

Wahrheitskommission gefordert

Um die systematischen Menschenrechtsverletzungen der Suharto-Zeit aufzudecken und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, wird im Inselreich auch eine Wahrheits- und Versöhnungskommission nach südafrikanischem Vorbild gefordert.

Der Politologe Agung Yudhawiranata schrieb in der Jakarta Post, die meisten Opfer und ihre Angehörigen seien nicht für das erlittene Unrecht entschädigt worden. „Es ist dringend nötig, die Regierungen der Nach-Suharto-Zeit von jeglichem Einfluss des früheren Regimes zu reinigen.“ Auch die Verantwortung von Armeeoffizieren müsse offengelegt werden.

Datum: 22.10.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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