Glauben lohnt sich

Die Zahlen sprechen für den Glauben. Stabilere Familien, höhere Arbeitsleistung und -moral und bessere demographische Aussichten in den USA seien eine direkte Folge des Christentums, wie Nachforschungen der „Wirtschaftswoche“ ergaben. Und wo steht Europa?
Die wirtschaftliche Entwicklung der USA zeigt im Wesentlichen nach oben.
Die Kirchen bilden das Rückgrat der Nation.
Glanz und Wohlstand. Dahinter steht harte Arbeit.
Das Verhältnis der Amerikaner zu ihrem Land ist ungebrochen

Spötter behaupten, in Amerika bestehe die Dreieinigkeit aus Gott, Familie und Vaterland. Ganz Unrecht dürften sie nicht haben. Beinahe jeder Zweite besucht dort mindestens einmal in der Woche einen Gottesdienst, die Geburtenrate von (statistischen) 2,1 Kindern pro Frau sorgt für ein gesundes Bevölkerungswachstum, und satte 80 Prozent der Bevölkerung seien dort „sehr stolz“ auf ihr Land.

Vergleichszahlen aus dem „alten Europa“ lassen dieses tatsächlich alt ausschauen: Nur jeden zehnten Deutschen zieht es vergleichbar häufig in eine Kirche; in England gar nur zwei von hundert. Zu ähnlichem Patriotismus wie die US-Amerikaner sind lediglich ein Drittel der Italiener und gar nur ein Sechstel der Deutschen fähig. Zudem dürfte die europäische Bevölkerung in den nächsten 50 Jahren bei einer Geburtenrate von lediglich 1,4 Kindern pro gebärfähige Frau um 10 Prozent schrumpfen.

Transatlantischer Röschtigraben

Nach Ansicht der „Wirtschaftswoche“ sei dafür der christliche Glaube bzw. dessen Rückgang verantwortlich zu machen. „Trotz oberflächlicher Angleichung der Lebensstile durch McDonald’s, Movies und Madonna“ würden Amerikaner und Europäer einander „immer fremder”, konstatiert der Politikwissenschaftler Stephan Bierling von der Universität Regensburg. „In der Geostrategie, in Wertefragen und in der Wirtschaft laufen die Entwicklungen auseinander.”

Hollywood- und Popkultur, Neoliberalismus und eine Spitzenstellung in den Naturwissenschaften verdecken nur oberflächlich, dass die USA „gleichzeitig die modernste und die traditionalistischste Gesellschaft der entwickelten Welt” verkörpern, sagt Anatol Lieven, Leiter eines Friedensforschungs-Instituts in Washington. So spricht sich fast die Hälfte der Amerikaner gegen eine gesellschaftliche Anerkennung der Homosexualität aus – bei rund 15 Prozent der Deutschen.

Michael Cromartie, Vizepräsident des Ethics and Public Policy Center in Washington, spricht sogar von einer „Desäkularisierung Amerikas”. Und die geht quer durch alle ethnische Zugehörigkeiten, Regionen, Geschlechter, Familien- und Bildungsstände. „Abgesehen von den Städten im Nordosten sind die USA ein einziger Bibelgürtel”, sagt Michael Novak, Direktor für soziale und politische Studien am American Enterprise Institute in Washington. Nicht einmal katholische Zuwanderer aus Mexiko bilden da eine Ausnahme. In Los Angeles tritt jeder Vierte von ihnen einer evangelischen Gemeinde bei.

Der Glaube setzte Kräfte frei

Diese Tatsachen stimmen nachdenklich: leere Kirchen hier, ungebrochener Glaube dort. Wo liegen die Gründe? Die „Wirtschaftswoche“ ortet sie vor allem in der Geschichte. Sehr viele Einwanderer des 17. und 18. Jahrhunderts hatten den alten Kontinent wegen ihrer religiösen Überzeugung verlassen müssen. Denn seit 1555 galten hier landesherrschaftliche Grundsätze: Der Augsburger Religionsfrieden beendete zwar die konfessionellen Streitigkeiten und Kriege nach der Reformation. Der Preis dafür war aber ein neues Untertanenprinzip, nach dem der jeweilige Landesherr den Glauben bestimmte – „cuius regio, eius religio”. Wer sich dem nicht beugte, musste mit Verfolgung rechnen und auswandern. In der Neuen Welt konnten diese Menschen ihren Glauben hingegen frei ausleben. Und sie taten es auch. Der christliche Glaube war damit der entstehenden amerikanischen Nation in die Wiege gelegt und blieb bis in unsere Tage ein selbstverständlicher Bestandteil dieser Gesellschaft.

Kirche und/oder Staat

Im Widerspruch dazu scheint die rigorose Trennung von Kirche und Staat zu stehen. Religionsunterricht an staatlichen Schulen ist in den USA ebenso wenig vorstellbar wie eine finanzielle Förderung der Kirchen durch ein Steuerwesen oder ähnliches. Gleichwohl hängt in fast jeder Kirche das Sternenbanner, und es gilt als selbstverständlich, dass der Glauben das politische Handeln bestimmt, bis hinein in vulgär-christliche Vorstellungen von „Achsen des Bösen“ und „Kreuzzügen gegen den Terrorismus“.

Anders als in Europa bedeutet in den USA Trennung von Kirche und Staat den Schutz der Glaubensgemeinschaften vor möglichen Übergriffen des Staates; eine historische Lektion jener Einwanderer. Auf dem alten Kontinent hingegen hat diese Trennung immer noch einen emanzipatorischen Beiklang. Seit der Französischen Revolution und der Aufklärung versuchen sich die europäischen Länder von (empfundener) kirchlicher Bevormundung zu lösen.

Prinzip Verantwortung

Christliche Staatsidee auf der einen Seite, säkulare auf der anderen. Dass es sich dabei nicht um billige Spekulationen in der Geistesgeschichte handelt, sondern um Einstellungen mit weit reichenden Folgen bis in unsere Gegenwart, das belegen wiederum handfeste Zahlen der „Wirtschaftswoche“. Sie berichtet von einer OECD-Studie, derzufolge die Jahresarbeitszeit in den USA bei rund 1800 Stunden liegt – 20 über derjenigen in Frankreich oder Deutschland. Auch sei der Sinn für Eigenverantwortung in Amerika deutlich stärker ausgeprägt. In Deutschland und Italien meinen zwei von drei Befragten, über persönlichen Erfolg und Misserfolg entschieden Kräfte, über die sie keine Kontrolle hätten. In Amerika ist dieses Verhältnis genau umgekehrt. Zwei Drittel der Befragten fühlen sich für ein Scheitern selbst verantwortlich.

Gott und die Frührente

Der Hintergrund liege, so der Oxford-Historiker Niall Ferguson, in einer protestantischen Arbeitsethik, nach der das persönliche Wohlergehen auf ein Erwähltsein durch Gott hinweist. Das impliziert auch materiellen Segen, zu dem man mit den eigenen Händen seinen Teil beitragen soll. Viele protestantische Kirchen propagieren diese Ethik und tragen damit ihren Teil zum amerikanischen Wohlstand bei. Eine 35-Stunden-Woche oder eine Frührente fallen damit eher unter die Kategorie sündhafter Müssiggang als sozialer Fortschritt.

Forschungsergebnisse des renomierten Harvard-Ökonomen Robert Barro und seiner Frau Rachel McCleary bestätigen diesen Zusammenhang. Nach einer Untersuchung in 59 Ländern hätten sie festgestellt, dass sich der Glaube an Himmel, Hölle und das ewige Leben positiv auf die Wirtschaftsleistung auswirkt – vermutlich weil er wachstumsfreundliche Einstellungen wie Ehrlichkeit, Sparsamkeit und Fleiss begünstige.

Auf der Suche nach Europas Seele

Und Europa? Hier hat „die Säkularisierung Leere hinterlassen, einen Sinnentzug”, beklagt Margot Kässmann, evangelisch-lutherische Landesbischöfin von Hannover. Sogar der frühere Kommissionspräsident der Europäischen Union, Jacques Delors forderte, man müsse „Europa eine Seele” geben. Auch der deutsche Bundespräsident Horst Köhler habe „den Eindruck, als sei Europa dabei, seine Identität zu verlieren, seine Wurzeln nicht mehr zu kennen”. Zu diesen Wurzeln zählt er, anders als Bundeskanzler Schröder, „auch das Christentum und die christliche Ethik”.

Offen für alles?

Eine Gemeinschaft, ob Familie, Nation oder Gesellschaft, muss sich darüber im Klaren sein, was sie im Inneren zusammenhält. Es hätte sonst laut Niall Ferguson „trostlose Implikationen für die Zukunft“. Denn die bestimmt sich nicht nur wirtschaftlich. „Wie sollen die islamischen Migranten integriert werden, wenn vielen Europäern die eigene kulturelle und religiöse Tradition, die eigenen Wurzeln völlig unbekannt geworden sind?“ fragt Bischöfin Kässmann. Wo hinein sollten sich Menschen aus anderen Kulturkreisen denn „integrieren“, wenn die Mitte diffus oder zum Tabu geworden ist? Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama sieht darum beispielsweise die Europäer „im Inneren durch den radikalen Islam weit stärker bedroht als die Amerikaner von aussen.”

Gemäss dem französischen Islamkenner Gilles Kepel glaubten Parteigänger des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, „die EU könne ihnen helfen, die dritte Schlacht um Europa zu gewinnen”. Die erste ging mit bei der Rückeroberung von Spanien verloren, die zweite mit der Niederlage der Türken vor Wien. Die dritte Schlacht hingegen könnte siegreich sein als „Schlacht der Demografie, die es ihnen erlaubt, Zitadellen des Dschihad in Europa zu errichten”.

Keine falsche Scheu

Von gänzlich unkirchlicher Warte schrieb sogar die Zeitschrift „Economist”: „Die Herausforderung durch Immigration und politischen Islam zwingt die Leute, darüber nachzudenken, welche Voraussetzungen eine liberale Gesellschaft hat.”

Die Geschichte der europäischen Kirchen ist eine andere als die der amerikanischen. Die Herausforderung ist dieselbe: den Menschen Halt und Identität vermitteln. Die zu erwartenden positiven wirtschaftlichen Auswirkungen können falsche Bescheidenheit ablegen helfen. Im Hintergrund geht es aber um mehr.

Quellen: Wirtschaftswoche, Livenet

Datum: 06.01.2005

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