„Hey, Jesus liebt dich!“

In der Favela lebt und stirbt es sich schnell

Valdir wird in der brasilianischen Metropole São Paulo zum Betteln gedrängt, lebt auf der Strasse, lernt stehlen, wird Bandenchef – und findet aus der Kriminalität heraus. Die Schweizer Autorin Damaris Kofmehl beschreibt in ihrem Buch „Flieh, Valdir, flieh!“ eine dramatische Karriere. Valdir Lima Barbosa ist am 6. März gestorben – durch Kugeln aus seinem eigenen Revolver. Der Nachruf von Damaris Kofmehl:
„Weisst du, dass Jesus dich liebt?“ Valdir mit Strassenkindern

Mit grossem Schrecken vernahm ich heute Morgen, dass Valdir dieses Wochenende gestorben ist. Für diejenigen, die ihn selbst kannten, die ihn auf unserer ersten Vortragstour im Jahre 1999 in der Schweiz und in Deutschland gesehen haben, wird dies bestimmt ein grosser Schock sein. Genauso ist es für mich, denn Valdir war mir ein guter Freund, ja ein kleiner Bruder, mit dem ich so manche Freuden und Leiden geteilt habe.

Ich lernte ihn 1996 kennen, als er noch ein Strassenjunge war. Dann wurde er Christ und begann selbst, im Heilsarmee-Strassenkinderprojekt ‚Drei Herzen’ zu arbeiten. 1999 schrieb ich ein Buch über sein bewegendes Leben. Und ich nahm ihn mit auf eine Vortragstour in die Schweiz und Deutschland, wo er Tausenden von Jugendlichen mit einem Strahlen im Gesicht die Worte sagte, die er in Deutsch gelernt hatte: „Hey, Jesus liebt dich!“

Wenn es ein Wort gibt, das ich über sein Leben schreiben würde, dann wäre es dies: „Hey, Jesus liebt dich!“ Wenn ich mit ihm durch São Paulo fuhr und wir vor einem Rotsignal halten mussten, kurbelte er die Scheibe herunter und rief dem Fussgänger, der am nächsten stand, zu: „Hey, Jesus te ama!“

Wenn wir Einkäufe machten und an die Kasse kamen, war das erste, das er der Kassierin sagte: „Hat dir heute schon jemand gesagt, dass Jesus dich liebt?“ Und wenn die verwunderte Kassierin den Kopf schüttelte, grinste Valdir übers ganze Gesicht und sagte ihr: „Okay, dann sag ich es dir jetzt: Jesus liebt dich!“

Manchmal konnte Valdir auch ganz schön ausflippen und die Nerven verlieren. Das hat ihn diesmal leider sein Leben gekostet. Sein jüngerer Bruder Valdemir hatte sich bei ein paar finsteren Typen in der Favela unbeliebt gemacht. Am vergangenen Freitag feuerten sie zwei Schüsse auf ihn ab. Valdemir liegt seither mit zwei Bauchschüssen im Spital. Als Valdir von dem Vorfall erfuhr, besorgte er sich einen Revolver, gab vor einer Bar ein paar Schüsse ab und verkündete, er werde sich an den Typen rächen, die seinen Bruder angeschossen hätten.

Am selben Tag rief Valdir ganz überraschend im Projekt ‚New Chance’ an und bat unsere Mitarbeiter um Vergebung, da er sich in der Vergangenheit, als er noch bei New Chance arbeitete, manchmal etwas ungezogen benommen hatte. Ein seltsamer Telefonanruf, den wir nicht richtig einordnen konnten. Im Nachhinein müssen wir annehmen, dass Valdir vielleicht etwas geahnt hat und vorher reinen Tisch machen wollte.

Die Typen, die seinen Bruder angeschossen hatten, hatten anscheinend erfahren, dass er plante, sich an ihnen zu rächen. Sie kamen ihm zuvor, lauerten ihm in der Favela auf und schossen ihm in den Rücken. Als er zu Boden fiel, begannen sie ihn mit Füssen zu treten. Schliesslich nahmen sie ihm den Revolver weg und erschossen ihn mit seiner eigenen Waffe. Er war sofort tot.

Die Beerdigung fand heute, den 8. März 2004 statt. Cleodemir, der mir am Telefon die ganze Geschichte erzählte, meinte einfach: „Weisst du, Gott hat Valdir bewahrt, damit er keine Dummheit anstellt. Und er hat zugelassen, dass er nicht gleich starb, damit er Zeit hatte, mit Gott ins Reine zu kommen. Valdir ist im Himmel. Ich sah sein friedliches Gesicht im Sarg. Ich weiss, er ist im Himmel.“

Wenn ich an Valdir denke, dann sehe ich einen fröhlichen Burschen vor mir, der nur so sprudelte von der Liebe Gottes und allen, wirklich ALLEN von Jesus erzählte. Ich werde nie mehr vergessen, wie Valdir Tränen in den Augen hatte, als vergangenes Jahr ein siebzehnjähriges Mädchen von Drogenhändlern erschossen wurde, ein Mädchen, das Valdir noch von der Zeit gekannt hatte, als er selbst auf der Strasse lebte. Er gestand mir unter Tränen: „Ich bin so froh, dass ich ihr von Jesus erzählt habe, eine Woche bevor sie gestorben ist. Ich werde nicht zulassen, dass dies nochmals geschieht. Ich werde diesen Kindern von Jesus erzählen, bevor es zu spät ist!“

Valdir wird mir immer ein Vorbild bleiben. Er hatte Fehler wie wir alle, konnte manchmal ganz dumme Fehltritte machen. Doch ich habe nie einen Menschen kennengelernt, der seine Fehltritte jeweils derart ehrlich und zutiefst bereute wie Valdir und Gott unter Tränen um eine neue Chance bat. Ich freue mich schon jetzt auf den Tag, wo ich ihn im Himmel wiedersehen werde.


Weitere Artikel über Brasilien und seine Strassenkinder folgen.

Damaris Kofmehls Sozialarbeit:
www.newchanceinternational.com

‚Flieh, Valdir, flieh!’ – Buch im Internet:
www.brunnen-verlag.de (Suchbegriff: Valdir)

Datum: 10.05.2004
Autor: Damaris Kofmehl
Quelle: Livenet.ch

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