„What would Jesus drive?“

Evangelium und Kommerz in den USA

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WWJD – Die Abkürzung ziert nicht nur Armbänder, sondern diverse andere Artikel, die Jugendliche lieben. Die vier Buchstaben stehen für „Was würde Jesus tun?“. Die Frage wurde vom christlichen Autor Charles Sheldon 1886 in einem seiner Bücher aufgeworfen – und über hundert Jahre später von der Geschäftsfrau Jamie Tinklenberg entdeckt, um das Evangelium unter Jugendlichen zum Thema zu machen. Tinklenberg hat nach Schätzungen bis zu 52 Millionen WWJD-Armbänder verkauft – und die Buchstabenfolge wurde in den USA zum Kristallisationspunkt einer evangelischen Jugendbewegung.

Eingängig und erfolgreich

WWJD kennt heute laut der NZZ „jedes amerikanische Kind“. Die Abkürzung ist so einprägsam, dass die Automobilindustrie sich an ihr vergriff. Frech texteten die Werber in einer Kampagne für geländegängige, benzinfressende Riesenvehikel, die Sports Utility Vehicles, um: „What would Jesus drive?“ – Was würde Jesus fahren?

Susanne Ostwald, US-Korrespondentin der NZZ, nimmt den Erfolg von WWJD als Beleg für die Verflechtung von christlichem Bemühen ums Evangelium und Geschäft. Vor allem die Unterhaltungsindustrie springt auf den geistlichen Zug auf. Mit christlicher Musik (Contemporary Christian Music, kurz CCM) wird sehr viel Geld verdient: „Es gibt heute in den USA keinen Bereich des Entertainments, in dem der Name des Herrn nicht in klingende Münze verwandelt werden könnte – Jesus hat schliesslich auch Wasser in Wein verwandelt.“

Eine Generationenfrage?

Ostwald schreibt, dass die ursprüngliche Frage – Was würde Jesus tun? – heute viele traditionsbewusste Christen in Amerika gerade im Blick auf dieses Business umtreibt. Sie sind über die „rasant um sich greifende Kommerzialisierung ihres Glaubens“ bestürzt.

Wieviel eingängiges Entertainment, oft eher seicht als gehaltvoll, mag die Botschaft von Kreuz und Auferstehung, vom Retter Jesus und dem Himmelreich ertragen? Wird sie unkenntlich, wenn poppige Kulissen aufgefahren werden? Laut der NZZ wird in den USA darüber ausgiebig gestritten: „Die Kontroverse um die Populärkultur ist zu einer grundlegenden Glaubensfrage innerhalb des amerikanischen Christentums geworden“. Wenn Ostwald Recht hat, droht die Debatte die bereits zersplitterte evangelische Christenheit der USA weiter zu spalten – wobei jüngere Kirchgänger dies betreiben oder in Kauf nehmen.

Evangelium als Business

Ostwald sieht die amerikanische Populärkultur zunehmend durchwachsen von Produkten mit christlichen Botschaften, „von Actionfilmen bis zu Groschenromanen, von Jesus-Rap bis zu Wettkämpfen der Christian Wrestling Federation“. Sie erwähnt den Vergnügungspark ‚Holy Land Experience’, der die Besucher ins frühchristliche Jerusalem versetzen will, und seinen ‚Goliath-Burger’. Der Umsatz der christlichen Unterhaltungsindustrie habe jährlich bereits drei Milliarden Dollar erreicht. Christian Contemporary Music erzielt in den USA einen grösseren Umsatz als Klassik und Jazz zusammen.

Der Erfolg christlicher Verlagshäuser hatte neue Buchreihen zur Folge – und Übernahmen; so kaufte Harper Collins den für seine ‚New International Version’-Bibel bekannten Zondervan-Verlag auf. Als erster christlicher Roman überhaupt schaffte der Endzeitroman «The Indwelling» von Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins den Sprung an die Spitze der Bestsellerliste der New York Times (der Titel der deutschen Serie: Finale).

Gerade für Aussteiger attraktiv

Ostwald schreibt, dass diese Verkaufserfolge vielen traditionellen Christen schwer zu denken geben, weil sie dabei eine Verwässerung der christlichen Botschaft wahrnehmen. Allerdings ermögliche die christliche Unterhaltungsindustrie gerade strenggläubigen Christen, die sich von der US-Kultur abwandten und als Aussteiger lebten, sich Genüsse zuzuführen, die mit ihrem Glauben vereinbar seien.

‚Worship Wars’ – wer beeinflusst wen?

Manche Traditionalisten haben dem Trend zum Entertainment den Krieg erklärt. Sie verwerfen den Einsatz von Popmusik und Videoclips im Gottesdienst und wollen an der althergebrachten feierlichen Liturgie festhalten.

Dagegen argumentieren andere, „eine Hinwendung zur Populärkultur sei kein Seelenverkauf, sondern biete eine unschätzbare Chance zur Glaubensverbreitung. Sie hegen den frommen Wunsch, die christliche Botschaft möge einen prägenden Einfluss auf die gesamte Populärkultur ausüben“. Die Rede ist von ‚postmodernen’ Formen der Anbetung Gottes. Mit ihnen würden junge Erwachsene in ihrer Erfahrungswelt abgeholt.

Die Kraft des Evangeliums

Der ausführliche NZZ-Artikel hinterlässt Fragen, die auch hierzulande eine Debatte verdienen. Mit der steifen Feierlichkeit früherer Jahrhunderte ist im 21. Jahrhundert nicht auf Dauer Kirche zu machen. Pop goes the Gospel – sowohl die, die darüber wehklagen, wie jene, die klatschen, sollten sich überlegen, welche zeitgemässen Formen die Inhalte des Evangeliums verdienen und wie der Anspruch Gottes an die Menschen, der in ihm zum Ausdruck kommt, zu vermitteln ist.

Und wenn man sich auf das Gängige einlässt: Wie sind Formen und Medien der Gegenwartskultur einzusetzen und zu modifizieren, damit sie die Kraft des Evangeliums zur Geltung bringen, des Evangeliums, das die Kraft hat, Menschen nicht nur zu beglücken, sondern zu retten?

Datum: 25.10.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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