Nigeria: Trauriger Jahrestag

232 entführte Mädchen aus Chibok weiterhin verschollen

Vor einem Jahr, am 14. April 2014, entführten Milizen der islamistischen Boko Haram im nigerianischen Chibok 252 Mädchen. 20 von ihnen konnten entkommen, die übrigen gelten seither als verschollen. Die dramatische Entführung ist nur die Spitze des Eisbergs. Kirchliche Vertreter wünschen sich eine Solidarität wie bei Charlie Hebdo.
Protestmarsch in Nigeria gegen die Entführung der christlichen Mächen.
Unter dem Hashtag «Bring back our girls» zeigten Menschen auf der ganzen Welt Solidarität.
Die Ungewissheit über das Schicksal der eigenen Kinder in den Händen einer brutalen Terrormiliz stellt für viele der Eltern eine schier unerträgliche Last dar.

Während die nigerianische Regierung zunächst zögerlich reagierte, löste das Ereignis weltweit starke Reaktionen besonders in den sozialen Medien aus (#BringBackOurGirls). Boko Haram hatte zwischenzeitlich in einem Bekennervideo angekündigt, die Mädchen «auf dem Markt» verkaufen zu wollen.

Nach bislang unbestätigten Informationen könnten die entführten Mädchen unter den zahlreichen Toten sein, die in Massengräbern nahe der Stadt Bama entdeckt wurden, die Anfang März von der Herrschaft der Terrormiliz befreit wurde. Andere halten es für wahrscheinlich, dass die Mädchen inzwischen in Nachbarländer gebracht wurden. Sie stellten damals die grösste Gruppe dar, die jemals von Boko Haram entführt wurde.

Boko Haram: Kampf gegen die Christen und Allianz mit dem IS

Seit Jahren verübt die islamistische Miliz Anschläge gegen alles, was als «westlich» wahrgenommen wird. Dazu gehören in besonderem Masse Kirchen und Christen, die gezielt angegriffen, entführt oder vertrieben werden. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF veröffentlichte am 13. April einen Bericht zu Nigeria, in dem von 1,5 Mio. Flüchtlingen infolge von Boko Haram die Rede ist, darunter allein 800.000 Kinder. Ziel der islamistischen Gruppierung ist die Errichtung eines eigenständigen islamischen Staates im Norden des Landes. Die Parallelen zu den Inhalten und Methoden des «Islamischen Staates» in Syrien und dem Irak sind offensichtlich.

Im August 2014 rief Abubakar Shekau, Anführer der Terrormiliz, ein islamisches Kalifat im Nordosten Nigerias aus. Anfang März schloss sich Boko Haram offiziell dem IS an, für die Bewohner von Nigerias Norden eine weitere schlechte Nachricht.

Religion für Machtstreben instrumentalisiert

Die Ungewissheit über das Schicksal der eigenen Kinder in den Händen einer brutalen Terrormiliz stellt für viele der Eltern eine schier unerträgliche Last dar. Vollmundige Versprechen von Vertretern des Militärs und der mittlerweile abgewählten Regierung, internationale Hilfsbemühungen, Verhandlungen mit Boko-Haram-Vertretern – all das ist bislang ohne Ergebnis geblieben. Stattdessen stehen immer wieder Verwicklungen von Militär und Politik im Raum, ohne die die zahlreichen Erfolge der Miliz kaum denkbar scheinen. Hinzu kommt bei vielen von der Gewalt betroffenen Christen das Gefühl, von der Weltöffentlichkeit alleine gelassen zu sein. Während sich die Medien wieder anderen Themen zugewendet haben, setzen neben Boko Haram auch Viehhirten vom Fulani-Stamm ihre Angriffe auf christliche Dörfer und Kirchen fort. Die regelmässigen, oft tödlichen Überfälle zermürben die christliche Bevölkerung und haben dazu geführt, dass immer mehr Christen aus den betroffenen Gebieten abwandern.

Eine neue Studie von Open Doors stärkt die These, dass dem andauernden Kampf gegen die Christen ein klares Machtkalkül zugrundliegt. Dabei werden Altlasten aus der Kolonialzeit, politische Ziele sowie religiöse Prägungen für das Ziel instrumentalisiert, Nord- und Zentralnigeria vollständig unter muslimische Herrschaft zu bringen.

Solidarität wie bei Charlie Hebdo gewünscht

Mit Erstaunen registrieren Beobachter, dass – anders als etwa im Irak – trotzdem eine beträchtliche Zahl von Christen im Einflussbereich der Islamisten wohnen bleibt. Gemeinden feiern trotz der Bedrohung weiter Gottesdienste, Christen harren aus und verweisen dabei auf ihr Vorbild Jesus.

«Wir sind jederzeit bereit dazu, jeden Preis für unseren Glauben zu bezahlen», äusserte ein Pastor kurz nachdem seine Kirche niedergebrannt wurde. Open Doors ruft die Christen weltweit zum Gebet für die vielen entführten Kindern und Frauen auf, ausserdem auch zum Gebet für die Christen im Norden Nigerias, dass sie weiter das Evangelium des Friedens gegen alle Gewalt setzen. Das überkonfessionelle Hilfswerk ist seit vielen Jahren in Nigeria tätig, um den verfolgten Christen durch Schulungen, Nothilfemassnahmen, Traumabegleitung und Hilfe zur Selbsthilfe beizustehen.

Auf dem Weltverfolgungsindex von Open Doors sticht Nigeria durch die höchste vergebene Wertung im Bereich «Gewalt gegen Christen» hervor. In der Gesamtwertung belegt es Rang 10 unter allen Ländern, in denen weltweit Christen verfolgt werden.

Zum Thema:
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Datum: 14.04.2015
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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