Friedenssehnsucht im Sudan

Sklaven kommen ohne Lösegeld frei

Ayak Kueck mit Deng und Gunnar Wiebalck von CSI
Garang Deng Akuei hat in der Sklaverei ein Auge verloren
Wieder in Freiheit: Dinka-Frauen erhalten Wasserbehälter

Ayak Kueck wurde im Südsudan gefangen genommen und mit ihren drei Töchtern Luc, Cuor und Angeth in die Sklaverei geführt. Angeth verlor ihr Leben, als sie zu flüchten versuchte; Ayak nahm darauf ihren Enkel Deng zu sich und sorgte für ihn. Kurz vor der Versklavung war Angeth getauft worden und hatte den Namen Elisabeth erhalten. Ayak blieb bei der Naturreligion ihrer Vorfahren, doch interessierte sie der neue Glaube.

Durch eine Lösegeldzahlung der Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International (CSI) kamen Deng und seine Grossmutter frei, nach sieben Jahren der Sklaverei. „Ich will ein Christ werden“, unterbrach er ihr Gespräch mit dem CSI-Mann, der bei ihrer Rückkehr in die Heimat zugegen war. „Gott wollte, dass wir zurückkommen – und weil er dies wollte, leben wir heute noch.“

Letzte Freikaufaktion im Frühjahr 2003

Noch immer werden viele 10'000 Dinka, Nuer und Nuba als Sklaven in den islamischen Gebieten des Sudan gefangen gehalten, sagt Gunnar Wiebalck vom CSI-Hauptsitz in Binz bei Zürich. Doch die Raubzüge arabischer Milizen in ihre Siedlungsgebiete hätten aufgehört. Dies dürfte auch damit zu tun haben, dass CSI und andere Organisationen den Horror und das schreiende Unrecht im Südsudan im Westen – und besonders in den USA publik – machten.

Was CSI seit Mitte der 90-er Jahre anstrebte und erhoffte, geschieht nun zunehmend: Sklaven kommen ohne Bezahlung von Lösegeld frei. Dies ist auf Friedensvereinbarungen zurückzuführen, welche Vertreter des Dinka-Volks mit ihren nördlichen Nachbarn, Muslimen arabischer Sprache, treffen.

CSI hat diese Kontakte unterstützt, wie Wiebalck, der über 30mal in den Südsudan gereist ist, gegenüber Livenet ausführt. Noch immer leugnet die Regierung in Khartum die Sklavenjagden, auch wenn sie mit der Schaffung eines Komitees indirekt zugab, dass Menschen in Gefangenschaft gerieten.

Heimkehrer brauchen dringend Werkzeuge

Im Frühjahr dieses Jahres führte CSI die letzte Freikaufaktion durch. Insgesamt haben über 80'000 Frauen, Kinder und Jugendliche (die allermeisten Männer wurden von den Sklavenjägern getötet) durch die Organisation ihre Freiheit wieder erlangt.

Derzeit kehren jeden Monat Hunderte von Dinka in ihre Heimat zurück, in die Provinz südlich des Gazellenflusses (Bahr el-Ghazal). Sie sind völlig mittellos und brauchen Starthilfe im verwüsteten Land, wo auch Grundnahrungsmittel rar sind und von einer medizinischen Versorgung nicht die Rede sein kann.

Die Rückkehrer brauchen Wasserbehälter, Decken, Moskitonetze, Hacken und Sicheln, um neu zu beginnen. Die Abgabe dieser Güter steht neu im Zentrum der CSI-Arbeit. Zudem arbeitet seit zwei Jahren ein Arzt unter den Dinka; er will eine kleine Klinik einrichten. CSI konzentriert die Hilfe auf den entlegenen nördlichen Teil von Bahr el-Ghazal und will laut Wiebalck bis Januar 5000 Starthilfesets abgeben; der Aufwand dafür beträgt 300'000 Dollar.

Peitsche und Zuckerbrot der USA für Khartum

Mit Peitsche und Zuckerbrot drängt Washington das islamistische Regime in Khartum und die südsudanesischen Rebellen zum Friedensschluss. Am Mittwoch traf Aussenminister Colin Powell den sudanesischen Vizepräsidenten Taha und den Rebellenchef Garang an ihrem Verhandlungsort in Kenia. Damit erreichen die Friedenshoffnungen im grössten afrikanischen Land einen neuen Höhepunkt.

Bis Ende Jahr sollen sich die Gegner im 20-jährigen Bürgerkrieg einigen. Die USA würden dann das Embargo von 1997, das die Wirtschaft Sudans hart getroffen hat, aufzuheben beginnen; ihre Ölkonzerne könnten in der Folge im Sudan einsteigen.

Menschenrechtsorganisationen in Nordamerika hatten erreicht, dass US-Konzerne nicht investieren durften und eine kanadische Firma ihre Beteiligung aufgab. Washington erwartet von Khartum weitere Schritte gegen den Terrorismus, unter anderem die Ausweisung von palästinensischen Extremisten (auch Osama bin Laden fand jahrelang im Sudan Unterschlupf).

Wunsch nach Unabhängigkeit des Südens…

Die Volksbefreiungsarmee (SPLA) von John Garang repräsentiert nicht alle Volksgruppen im Südsudan, doch die laufenden Verhandlungen nach einem 20-jährigen Krieg, der nach Schätzungen zwei Millionen Menschen das Leben gekostet und unzählige weitere ins Elend gestossen hat, sind weit gediehen. Laut der NZZ wünschen sich „viele Südsudanesen, die sich vom arabisierten Norden an die Wand gedrückt fühlen, die Unabhängigkeit“.

Auch im sudanesischen Machtzentrum ist Einiges in Bewegung. Am 13. Oktober wurde in Khartum der islamistische Vordenker im Land, der Oppositionsführer und frühere Parlamentspräsident Hassan al-Turabi, aus dem Hausarrest entlassen.

Dass dies auf internationalen Druck zurückzuführen sei, wie der Freigelassene sagte, wurde von Regierungsseite dementiert. Offenbar meinen die Machthaber um General al-Bashir sicher im Sattel zu sitzen. Mit al-Turabi, der angeblich auch seine Zeitung wieder herausgeben kann, setzte das Regime weitere politische Häftlinge auf freien Fuss.

…von den Islamisten bekämpft

Die Erlöse aus dem Ölexport und ein eventueller Friedensschluss – von den meisten Sudanesen ersehnt – dürften der herrschenden Partei Wähler zuführen, so dass sie al-Turabis Islamisten in den nächsten Jahren nicht zu fürchten braucht. Ein Beobachter schätzt den Kern der Anhängerschaft al-Turabis auf fünf Prozent.

Al-Turabis Nationalkongress wird nach seiner Wiederzulassung für die umfassende Geltung der Scharia, des archaischen islamischen Gesetzes, und die Integrität des Sudan agitieren. In einer Volksabstimmung am Ende einer sechsjährigen Übergangsfrist soll der Süden über das Verbleiben oder Ausscheiden aus dem Staat entscheiden. Eine Sezession wird allerdings von der internationalen Staatengemeinschaft abgelehnt. Das im Herbst 2002 unterzeichnete Protokoll von Machakos, das erste Ergebnis des laufenden Friedensprozesses, garantiert den Völkern des Südens, dass sie nicht unter der Scharia leben müssen.

Autonomie oder Sezession statt forcierter Islamisierung?

Das sudanesische Regime hat seit den 80-er Jahren den strikten Islam nach Schwarzafrika hineintragen wollen – und bei seiner eigenen nicht-muslimischen Bevölkerung im Süden begonnen. 1983 wurde ihr die Scharia aufgezwungen, was den Bürgerkrieg provozierte.

Im 650'000 qkm grossen Südsudan leben viele stolze Völker; man schätzt den Anteil der Animisten auf 80%, den der Christen auf 20% Prozent. Sie gelten den Muslimen als ‚kafir’ (Ungläubige), deren Unterwerfung – so die Lehre der Islamisten – der Islam gebietet.

Wer verdient an den Bodenschätzen?

Kenner des Sudan weisen indes darauf hin, dass die Kriegspolitik Khartums von wirtschaftlichen Interessen geleitet war: Sie zielte auf die Ausbeutung der reichen Bodenschätze des Südens. Die Schwarzen litten viele Jahre unter Invasionen, Luftangriffen und grausamen Versklavungsaktionen, die ihren Widerstand brechen sollten.

Bei den Raids arabischer Milizen, die von Khartum wenn nicht angeordnet, so doch geduldet wurden, gerieten über die Jahre viele 100'000 Schwarze in Gefangenschaft; Männer wurden in der Regel getötet, Frauen und Kinder versklavt und misshandelt. Die Kirchen im Südsudan, von der Welt weitgehend abgeschnitten, haben trotz allem überlebt; sie

Friedensverhandlungen noch nicht am Ziel

Laut einer sudanesischen Zeitung könnte Khartum auf US-Entwicklungshilfe in dreistelliger Millionenhöhe hoffen, wenn ein umfassender Friedensvertrag geschlossen und umgesetzt wird.

Dafür braucht es aber noch die Einigung über die Machtteilung in der Hauptstadt Khartum. Zudem sind die Aufteilung der Erdölerlöse zwischen Norden und Süden (dieser fordert einen angemessenen Anteil) und die Kontrolle von Grenzregionen wie den Nuba-Bergen noch nicht geregelt.

Datum: 24.10.2003

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