`Praxis rechtfertigt nicht immer Anpassung des Gesetzes`

Zürich. Die GLS (Gesellschaft für den Schutz des ungeborenen Lebens in der Schweiz) bedauert die Ja-Parolen von FDP und SP zur Fristenlösung.
Das einzige Argument, das Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz an der
Delegiertenversammlung der Freisinnigen für die Fristenlösung ins Feld
führe: Bei 13 000 Schwanger-schaftsabbrüchen pro Jahr in der Schweiz sei
es höchste Zeit, das Gesetz der Realität anzupassen. Die GLS sehe darin keine
Rechtfertigung, dem Ungeborenen in den ersten drei Monaten den Schutz des
Staates zu entziehen.

Das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen stelle niemand in Frage,
kommentierte Walter Hürzeler, Präsident der GLS,
die Parole der FDP. Aber grosse liberale Persönlichkeiten, wie die vor
kurzem verstorbene Gräfin Marion von Dönhoff, habe auch vom "Liberalismus
der Selbstbeschränkung" gesprochen. Wohin entwickeln wir uns, wenn in
Zukunft unsere Gesetze vermehrt den "gesellschaftlichen Realitäten"
angepasst werden? frage sich die GLS. Gerade von einer Partei wie der FDP
wäre ein avantgardistischer Beitrag zur Gestaltung des Rechtsstaates und
des wirklichen Lebensschutzes zu erwarten gewesen.

Beim Ja zur Fristenlösung von FDP und SP vom letzten Samstag fällt der GLS
auch auf, dass beide Parteien ihre Parolen einstimmig gefasst haben. Diese Einstimmigkeit lasse aufhorchen, denn ein derart schroffes Ja sei
angesichts der Meinungsvielfalt in beiden Parteien erstaunlich. Dürfe man in
diesen Parteien in ethischen Fragen überhaupt noch anderer Meinung sein? Da
sei die Nein-Parole der SVP, welche immerhin auch eine Ja-Minderheit
ergeben habe, wohl ehrlicher. Denn die Stimmberechtigten wüssten, dass in
ethischen Fragen - wie dem Schwangerschaftsabbruch - um eine Lösung gerungen werden
müsse. Die GLS sehe deshalb den kommenden Parolen von CVP und EVP mit
Spannung entgegen.

Es gebe zu viele Gründe, warum eine Fristenlösung beim
Schwangerschaftsabbruch nicht sinnvoll sei – neben ethischen auch
juristische und politische. Die Gesellschaft zum Schutz des ungeborenen
Lebens in der Schweiz (GLS) betrachte eine Frist an sich als untaugliches
Kriterium, wenn es um Leben und Tod gehe.
Deshalb lautet ihr Slogan: „Fristen, die nichts lösen. Nein am 2. Juni“.Die
GLS hat ein nationales Nein-Komitee sowie kantonale Nein-Komitees
gebildet, denen namhafte Politikerinnen und Politiker aus verschiedenen Parteien
angehören.

Im Unterschied zu anderen Nein-Komitees kämpfe die GLS gegen die
Fristenlösung und nicht in erster Linie gegen die Abtreibung. Für die GLS
sei ein Nein zur Fristenlösung noch kein Bekenntnis zu einer bestimmten
ethischen Doktrin in der Abtreibungsfrage. Fristen seien ein typisches
Instrument der Bürokratie und deshalb nicht geeignet, Probleme zu lösen,
bei denen es um Leben und Tod geht, glaubt die GLS. Eine Aufweichung des
Lebensschutzes beim Embryo werde mittel- und langfristig auch den Schutz
des Lebens bei Neugeborenen, Behinderten und Alten gefährden. Im Weiteren gebe
diese Fristenlösung vor, die Freiheit der Frau zu erweitern, aber sie
schütze diese Freiheit nicht gegen Druckversuche und soziale Not. Zudem
sei die Vorlage nach Ansicht der GLS heuchlerisch, weil sie von einer
Notlage als Voraussetzung für eine Abtreibung spreche, aber nicht wirklich geprüft
werde, ob eine Notlage vorliege.

Eine Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch ist nach Auffassung der
GLS nur dann folgerichtig, wenn ein Ungeborenes eine Sache und kein Lebewesen
sei. Wenn es aber ein Mensch ist, so argumentiert das GLS-Komitee, dann
habe dieser Mensch Anspruch auf den vollen Schutz des Gesetzes, und
Ausnahmen müssten genau begründet werden. „Wäre es bald besser, ein Hochmoor, ein
Robbenbaby oder ein Igel zu sein als ein Ungeborenes? Wie kommt die
Schweiz auf die Idee, ausgerechnet menschlichem Leben den anwaltschaftlichen
Schutz zwölf Wochen lang gesetzlich zu entziehen?“ Diese und weitere Frage stellt
die GLS den Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit einer kleinen Schrift unter
dem Titel „Was lösen Fristen?“ Notlagen könne es immer mal geben,
argumentiert GLS weiter. Wer die Notlage aber zur Norm mache, mache die Norm
zur Notlage.

Die Gesellschaft für den Schutz des ungeborenen Lebens in der Schweiz
(GLS) hat im letzten Frühling das Referendum gegen die Fristenlösung ergriffen
und zusammen mit der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) 53 000
Unterschriften eingereicht. Sie besteht aus Politikerinnen und Politikern
von verschie-denen Parteien, Lebensrechtsorganisationen und Verantwortlichen
aus Kirche und Gesellschaft.

Datum: 19.03.2002

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