Sexualforscher

Markus Hoffmann: «Sexualität ist fluid und komplex»

Die öffentliche Diskussion über Sexualität blendet heute die Fakten weithin aus, stellt der deutsche Leiter der Beratungsstelle Wüstenstrom fest. Sie verdränge die Fakten, wirft Markus Hoffmann insbesondere den Medien vor.
Markus Hoffmann
Christa und Wilf Gasser

Zeitgleich mit der Veröffentlichung der Resultate einer Befragung über die Sexualität der Schweizer durch das Bundesamt für Gesundheit fand in Aarau ein Weiterbildungstag des Freikirchenverbandes VFG zum Thema «Sexualität im Wandel – Herausforderung für christliche Gemeinden» statt. Gegen 400 Personen nahmen daran Teil. Das Interesse war so gross, dass Interessierte abgewiesen werden mussten.

Grosses Thema – wenig Orientierung

Das Thema Sexualität ist allgegenwärtig – und doch herrscht darüber viel Orientierungslosigkeit. Dies stellte der Hauptreferent der Tagung, Markus Hoffmann, fest. Der Leiter der Beratungsstelle Wüstenstrom berät Menschen mit Problemen in ihrer sexuellen Identität, publiziert und doziert über Sexualethik. Begonnen hat seine Arbeit als einst selbst Betroffener mit der Beratung von veränderungswilligen homosexuell empfindenden Menschen. Heute ist das Angebot viel breiter und richtet sich an Menschen mit Problemen in ihrer sexuellen Identität

Der raue Wind, der ihm als «Schwulenheiler» entgegenschlug, hat ihn motiviert, das Thema zu vertiefen und sich eingehend mit der Sexualforschung zu befassen. Dabei hat er sich umfassendes Expertenwissen angeeignet und ist heute in der Lage, seine Positionen fundiert zu untermauern. Darauf gründet auch seine Kritik am heutigen gesellschaftlichen Diskurs über die Sexualität.

Wissenschaft an Grenzen

Seine wohl wichtigste Erkenntnis lautet dabei: Der Mensch wird nicht in eine sexuelle Ausrichtung hineingeboren. Insbesondere gibt es kein «Schwulen-Gen». Die Herausbildung der sexuellen Identität sei vielmehr ein lebenslanger Prozess und durch viele Faktoren und besonders Erfahrungen in der Jugendzeit beeinflusst. Noch könne die Wissenschaft nicht sagen, welche Rolle die Gene wirklich bei der Herausbildung der sexuellen Identität spielten. Wie komplex diese ist, veranschaulicht die Tatsache, dass über 50% der Männer auch auf männliche Reize reagieren.

Umgang mit Sexualität – ideologisch beeinflusst

Hoffmann kritisiert, dass heute fast ausschliesslich die Sozial- und Kulturwissenschaften das Thema Sexualität beherrschen. Insbesondere die Psychologie werde zurückgedrängt, obwohl sie vieles erkläre. Allerdings sei der Umgang mit Sexualität schon immer vor allem von den aktuellen gesellschaftlichen Werten bestimmt worden. Dies äussere sich heute darin, dass Sexualität vor allem «als befreiende Kraft» verstanden werde, ausgehend von der sexuellen Revolution, die die Emanzipation der Sexualität betont habe.

Keine Sexualität ohne ethische Entscheidung

Hoffmann fordert die christlichen Gemeinden und ihre Leitenden auf, Sexualität verstehen zu wollen. Zum Beispiel dass Sexualität im Fluss (fluid) sei, sich in der Jugend und im Erwachsenenalter verändere und von kindlichen Erfahrungen, Bezugsgruppen wie auch von biologischen Prozessen im Menschen beeinflusst werde. Ausserdem betonte er: «Es gibt keine Sexualität ohne ethische Entscheidung des Menschen.» Gelingende Sexualität erfordere psychische Kompetenz, eine moralische Haltung, Bindungsfähigkeit und Beziehungsfähigkeit, insbesondere auch die Fähigkeit, sich in die Situation des Partners versetzen zu können. Es gebe für jeden Menschen eine «Lerngeschichte der Sexualität», für die philosophisch-theologische und ethische Faktoren wichtig seien. Hoffmann: «Es gibt keine voraussetzungsfreie Sexualität!»

Die Aufgabe der christlichen Gemeinde

Christlichen Gemeinden rät er daher, vor allem das Wissen über gelingende Sexualität zu vermitteln. Das kann zum Beispiel bedeuten, mit Frustrationen umgehen zu lernen, Gefühle auszudrücken, aber sich nicht von ihnen bestimmen zu lassen. Oder sich auf eine Beziehung einlassen zu können, ohne Angst vor Vereinnahmung. Menschen müssten über Sexualität aufgeklärt, aber darin auch gefördert werden. Es brauche das Wissen über das Wesen der Sexualität, aber auch darüber, was sie in mir macht. 

Der Weiterbildungstag bot zudem einen Input der Sexualberater Christa und Wilf Gasser, sechs Workshops sowie Überlegungen zu einer Gemeindeordnung im Blick auf Sexualethik an. Ein Workshop reflektierte den Entwurf eines Thesenpapiers «Zum Umgang mit Homosexualität in evangelischen Freikirchen», das noch weiter entwickelt werden soll. Zudem wurde ein Predigtpreis für die beste Predigt zum Thema Sexualität ausgeschrieben.

Zum Thema:
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Datum: 23.11.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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