Medizinischer Fortschritt befreit nicht von Krankheitsleiden

Frankfurt am Main. Der evangelische Sozialethiker Prof. Ulrich Eibach, Bonn, hat der Auffassung widersprochen, dass der medizinische Fortschritt aufs Ganze die Welt zunehmend von krankheitsbedingten Leiden befreien wird. Der Fortschritt verschiebe unheilbare Krankheiten überwiegend auf spätere Lebensphasen. Damit trage er zur Verlängerung des Lebensalters und meist auch der Zeiten mit chronisch unheilbarer Krankheit und Pflegebedürftigkeit bei. So werde die Zahl der derzeit etwa zwei Millionen an Demenz erkrankten Menschen in Deutschland in den nächsten 20 Jahren wahrscheinlich auf zehn Millionen ansteigen, sagte er bei einem Symposion des christlichen Professoren-Forums Mitte April in Frankfurt am Main.

Durch die höhere Zahl von Pflegebedürftigen werde der Staat an sozio-ökonomische Grenzen stossen. Man werde daher in zehn Jahren anders über lebenswertes und lebensunwertes Leben reden als heute. Der schleichende Verfall des Rechtsbewusstseins auf diesem Gebiet sei kaum aufzuhalten. Das zeige sich etwa in der Debatte um den Embryonenschutz. Eine zunehmende Zahl von Philosophen, Juristen und auch Mitglieder des Nationalen Ethikrates unterschieden zwischen “bloss biologischem Leben”, dem keine Menschenwürde zukomme, und personalem Leben, das über seelisch-geistige Lebensqualitäten, vor allem Selbstbewusstsein, verfüge und aufgrund dieser Qualitäten Menschenwürde besitze. Damit würden aber nicht nur Embryonen von dem Lebensschutz ausgeschlossen, sondern auch schwerstbehinderte Menschen. So werde der im Grundgesetz verankerte unantastbare Schutz der Menschenwürde eingeschränkt. Der Mensch selbst setze dann “Qualitätsstandards” für menschliches Leben fest.

Diese Sicht sei eine Folge der Säkularisierung, so Eibach, denn bisher sei das Verständnis von Menschenwürde wesentlich bestimmt durch die jüdisch-christliche Auffassung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Sie sei eine Grösse, die von Gott allem Menschenleben zugesprochen sei und daher nicht durch Krankheit oder Behinderung verloren gehen könne. Es stehe keinem Menschen zu, von Menschen gezeugtem Leben die Menschenwürde abzusprechen. Die Humanität einer Gesellschaft erweise sich daran, wie sie mit den schwächsten Gliedern - also dem beginnenden Leben und den Schwerstbehinderten - umgehe. Zum gelingenden Leben gehöre das Wissen, dass man auch im Leiden und in der Pflegebedürftigkeit als Mensch geachtet werde. Es sei aber zu fragen, wie lange ein säkularer und multikultureller Staat sich von dieser christlich-abendländischen Vorstellung leiten lasse. Christen und Kirchen hätten auch gegen den Zeitgeist diese Sicht im Interesse der Schwächsten einzubringen.

Datum: 22.04.2002
Quelle: idea Deutschland

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