Aktive Sterbehilfe ja oder nein?

Für die aktive Sterbehilfe: Franco Cavalli, Ascona, Chefarzt Onkologie, Fraktionschef der Sozialdemokratischen Partei (SP)
Gegen die aktive Sterbehilfe: Ruedi Aeschbacher, Zürich, Nationalrat der Evangelischen Volkspartei (EVP)

Pro:

Ich befürworte eine Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe unter ganz klar zu definierenden Bedingungen. Vor allem zwei Gründe bewegen mich dazu:
1. Trotz optimalen Einsatzes der palliativen Medizin gibt es heute immer noch todkranke Patienten, bei denen wir unfähig sind, die Symptome so zu beheben, dass die allerletzte Phase ihres Lebens menschlich erträglich ist. Wenn sich der Patient dann in dieser Situation ausdrücklich, wiederholt und bei vollem Bewusstsein ein Ende seines Leidens wünscht, dann sollte der Arzt, der bereit ist, ihm dabei zu helfen, nicht mehr bestraft werden. Wenn wir aber selbst diese minimale Lösung aus rein weltanschaulichen Erwägungen verneinen, was in einer auch punkto ethische Werte immer pluralistischer werdenden Gesellschaft schon fraglich ist, dann verwei- gern wir im Grunde genommen gerade diesen Patienten, die häufig selbstmordunfähig geworden sind, das Selbstmordrecht, das wir ansonsten für alle anderen Menschen anerkennen.
2. Ich wünsche mir Transparenz in der riesigen Grauzone, in der wir heute leben und in der allerlei passieren kann und wahrscheinlich auch allerlei passiert. Die Ereignisse in einem Altersheim in Luzern sind meiner Meinung nach nur die Spitze des Eisberges. In vielen unserer stationären Einrichtungen passiert nämlich häufig oder gelegentlich - das wissen wir einfach nicht - etwa Folgendes: Ein schwerstkranker Patient scheint zu leiden; ohne jegliche Willensäusserung seinerseits verschreibt ihm das Behandlungsteam Schmerzmittel, Schlafmittel, mehr und noch mehr, bis die entsprechende Person für immer einschläft. Das darf nicht mehr sein in unserem Land! Hinter vorgehaltener Hand haben mir viele ärztliche Kollegen gesagt, sie begrüssten meine Initiative, weil sie so mindestens wüssten, was sie dürfen und was nicht.

Franco Cavalli
Nationalrat SP

Contra:

1. Als Christen bekennen wir uns zu Gott, dem Schöpfer, als Geber unseres Lebens. Ihm gegenüber stehen wir in der letzten Verantwortung. Leben und Sterben sind vom Allmächtigen gegeben und können nicht in die Verfügungsmacht der Menschen fallen. Darum sind aus dieser Optik Suizid und die Beihilfe zum Suizid moralisch nicht gedeckt.
Ausnahmen gegenüber diesem Grundsatz sind nur dann diskutierbar, wenn ganz besonders schwerwiegende Gründe vorliegen oder Grundwerte tangiert werden, die ebenso schwer wiegen wie der Schutz des Lebens. Solche Gründe können wir durchaus bei der bereits heute akzeptierten indirekten aktiven Sterbehilfe erkennen. So ist es sowohl mit der Würde des Menschen als
auch mit moralisch-ethischen und christlichen Wertvorstellungen durchaus verein- bar, dass man ein Leben, das irreversibel am Verlöschen ist, nicht künstlich verlängert. Ebenso kann akzeptiert werden, dass bei schweren Leiden hoffnungslos Kranken zur Linderung der Schmerzen starke Medikamente abgegeben werden, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie den Sterbeprozess beschleunigen.
2. Mit der direkten aktiven Sterbehilfe wird ein entscheidender weiterer Schritt gemacht, dem wir nicht folgen wollen. Der Mensch würde direkt in das Leben eingreifen. Er lässt dem natürlichen und gottgewollten Erlöschen eines Lebens nicht seinen Lauf, sondern tötet direkt und endgültig. Das ist auch dann nicht vertretbar, wenn direkte, aktive Sterbehilfe nur auf klaren und ausdrücklichen Wunsch eines schwer und unheilbar Kranken hin geleistet würde. So weit dürfen wir nicht gehen.
3. Es ist absolut vordringlich, die Möglichkeiten der Palliativmedizin (schmerzlin- dernde Medizin) markant zu verbessern. Sie sind eine echte Alternative zur aktiven Sterbehilfe. Wenn aktive Tötung straffrei und damit zu einer vom Staat anerkannten Problemlösung wird, so sind kranke, invalide und ihre Umwelt belastende oder sich als belastend empfindende Personen einem starken Druck ausgesetzt, ihr Dasein zu beenden.

Ruedi Aeschbacher
Nationalrat EVP

Datum: 05.04.2002
Quelle: Chrischona Magazin

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