Ökumenisches Projekt

Glatt: Raum für Stille im Shopping-Tempel

Das Glattzentrum in Wallisellen ist mit über 600 Millionen Franken Jahresumsatz und jährlich über 9 Millionen Besuchern das grösste Einkaufszentrum der Schweiz. Nun soll in dem Shopping-Tempel in der Zürcher Flughafenregion ein Raum der Stille entstehen. Es handelt sich um ein ökumenisches Projekt der örtlichen Kirchgemeinden, bestätigte Esther Kissling, reformierte Kirchenpflegepräsidentin in Wallisellen, einen Bericht der «NZZ am Sonntag» (13. März).
Glattzentrum

Der Raum der Stille wird im Turm des Glattzentrums in einem ehemaligen Büro eingerichtet, voraussichtlich ab Mai, sagte Kissling gegenüber der Agentur kath.ch. In dem Raum, der wirklich klein sei und keinen Platz für Gruppenangebote biete, sollen Besucher des Einkaufszentrums zur Ruhe kommen oder ein Gespräch mit einem Seelsorger oder einer Seelsorgerin führen können. Es sei vorgesehen, einzelne Sessel aufzustellen – für Stuhlreihen habe es keinen Platz. Der Raum werde durch Trennwände strukturiert: Seelsorgegespräche sollen so räumlich abgetrennt an einem kleinen Tisch stattfinden können, erläuterte Kissling.

Einkaufszentrum finanziert Mobiliar und Miete

Zum Mobiliar gehört weiter ein Buchgestell, auf dem die Heiligen Schriften der Weltreligionen aufgereiht werden. Der Raum der Stille soll von Angehörigen aller Weltreligionen aufgesucht werden können, bestätigte Kissling. Vorgesehen sei auch eine feuersichere Kerzenablage; das Anzünden von Kerzen sei im Glattzentrum ansonsten nicht erlaubt.

Das Einkaufszentrum übernehme die Finanzierung des Mobiliars und komme auch für die Miete des Raums auf. Das findet die reformierte Kirchenpflegepräsidentin «nicht erstaunlich»: «Der Raum der Stille stellt für das Glattzentrum grundsätzlich einen Mehrwert dar. Es bekommt etwas für das Geld. Das soll dem Zentrum auch etwas wert sein.»

Die reformierte und die katholische Kirche finanzieren ihrerseits je eine Seelsorge-Stelle und organisieren die Betreuung des Raums der Stille durch Freiwillige. Letztere sind wichtig: «Die Öffnungszeiten können wir nur mit der Unterstützung von Freiwilligen gewährleisten. Der Raum soll nur zugänglich sein, wenn auch jemand die Besucherinnen und Besucher betreuen kann», so Kissling. In der Aufbauphase soll der Raum am Mittwoch- und Freitagnachmittag sowie den ganzen Samstag geöffnet sein.

Kirchen wollen auch auf Jugendliche zugehen

Bereits sind zwei 30 Prozent-Stellen ausgeschrieben worden, die auf Interesse stossen. Die Seelsorgenden werden, unterstützt von den Freiwilligen, die Besucherinnen und Besucher des Raums betreuen. Sie sind aber auch für die Angestellten des Einkaufszentrums da. Zudem müssen sie sich in der Region vernetzen und den Kontakt zu potentiellen Freiwilligen suchen.

Zahlreiche Jugendliche verbringen laut Kissling ihre Freizeit in dem Einkaufszentrum. Dies sei mit ein Grund für das Engagement der Kirchen, erklärte die Kirchenpflegepräsidentin. Noch sei aber offen, auf welche Weise man auf die Jugendlichen zugehen wolle. Zunächst gehe es darum, das Angebot überhaupt erst zu etablieren. Der Raum der Stille wird zunächst im Rahmen einer Pilotphase bis Ende 2017 betrieben, erklärte Kissling. Sie zeigte sich überzeugt, dass das Glattzentrum nach der Sanierung des Towers im Jahr 2018 erneut einen Raum zur Verfügung stellen werde, wenn die Nachfrage nach dem kirchlichen Angebot erwiesen sei.

Kein Geld für Projekt von katholischer Kantonalkirche

Nach Angaben der Kirchenpflegepräsidentin finanziert die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich die 30 Prozent-Stelle. Auf katholischer Seite ist dem nicht so: Man habe ein Gesuch an den Synodalrat der Katholischen Kirche im Kanton Zürich gestellt, sagte Hanspeter Kündig, Kirchenpflegepräsident in der katholischen Pfarrei St. Antonius in Wallisellen, gegenüber kath.ch. Die Idee sei grundsätzlich positiv beurteilt worden. Dennoch habe, so Kündig, eine Mehrheit des Synodalrats die Finanzierung der Seelsorge-Stelle durch die Kantonalkirche abgelehnt – mit der Begründung, das Projekt sei eine Angelegenheit der Ortskirche.

Kündig kann dies nicht nachvollziehen. Wenn ein Einkaufszentrum jährlich neun Millionen Menschen anzieht, könne man nicht von einem lokalen Projekt sprechen. «Wir haben eine gute Gelegenheit verpasst, uns als katholische Kirche im Kanton Zürich zu zeigen. Wir hätten der Gesellschaft, die unsere Aktivitäten auch über die Steuergelder der juristischen Personen mitfinanziert, etwas zurückgeben können», sagte Kündig. Deshalb sei es schade, dass der Synodalrat das Gesuch um Finanzierung der Stelle abgelehnt habe.

Bei benachbarten Kirchgemeinden angeklopft

Nun sei man daran, Unterstützung bei den umliegenden Kirchgemeinden Kloten, Schwamendingen, Opfikon und Dübendorf zu suchen. «Wir haben ihnen unser Projekt bereits vorgestellt. Es läuft gut. Teilweise wurde uns bereits Unterstützung versprochen», freut sich Kündig. Die Hilfe der benachbarten Kirchgemeinden sei auch bei der Rekrutierung von Freiwilligen nötig.

Mit dem Raum der Stille im Glattzentrum betreten die Kirchen kein Neuland: Im Zürcher Einkaufszentrum Sihlcity gibt es bereits seit 2007 ein ähnliches kirchliches Angebot.

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Datum: 15.03.2016
Autor: Barbara Ludwig
Quelle: kath.ch

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