«Es braucht zwei Bekehrungen»

Walter Dürr zu den Thesen von Vishal Mangalwadi

In einem Interview mit dem Chrischona Panorama hat der indische Philosoph und Theologe Vishal Mangalwadi dem Westen vorgeworfen, seine eigenen Fundamente zu zerstören (Livenet berichtete). In einem weiteren Interview nimmt der Bieler Theologe Walter Dürr dazu Stellung.
Walter Dürr nimmt zu Vishal Mangalvadis Aussagen Stellung.

Der Theologe Walter Dürr ist sowohl Pfarrer der landeskirchlichen Gemeinschaft JAHU in Biel als auch Direktor des Studienzentrums für Glaube und Gesellschaft an der Universität Fribourg. Ihm ist die Verbindung von reflektiertem Glauben und praktischem Christsein ein Hauptanliegen.

Religiöse Kompetenz einfordern

Walter Dürr stimmt mit Mangalwadi darin überein, dass «die Bibel, wie sie unsere Väter verstanden haben, Europa mitgeprägt hat» und dass sie eine Kultur schaffende Kraft sei. Er geht aber nicht so weit zu behaupten, sie habe den Westen insgesamt zu dem gemacht, was er heute ist. Dennoch sei es gerade auch für säkulare Menschen heute wichtig, sie wieder heranzuziehen angesichts der Flüchtlingsströme und des zunehmenden Einflusses des Islams. Hier komme der Säkularismus an seine Grenzen und religiöse Kompetenz müsse neu gefördert und eingefordert werden. 

Komm und sieh

Die Christen stehen laut Dürr vor der Herausforderung zu prüfen, ob sie sich «den Luxus der Trennung» in viele Denominationen und Kirchen länger leisten können. Dürr: «Das Christentum würde gestärkt, wenn wir Christen uns zusammenraufen würden.» Denn Krisenzeiten seien auch Chancen für einen Neuanfang. Was die säkulare Welt brauche, seien Christen, die den Glauben auch glaubwürdig leben und sagen können: «Komm und sieh!» Der promovierte Bieler Theologe ist überzeugt: «Es geht darum, geprägt zu werden vom Wort Gottes und dann in aller Demut aber auch mutig zu zeigen, dass das Wort Gottes einen Beitrag zu leisten hat, indem wir ihn zunächst selber leisten.»

Aus der Welt und zurück

Um gesellschaftlichen Einfluss auszuüben, braucht es laut Dürr allerdings nichts weniger als zwei Bekehrungen. Oder anders gesagt: «Wie kann der Himmel die Erde prägen?» Walter Dürr sagt es so: «Wenn wir verstanden haben, dass der Glaube die Welt prägen will, dann ist klar, dass wir zwei Bekehrungen brauchen. Die erste: Rückzug aus der Welt – im Sinne von raus aus einem System der Auflehnung gegen Gott – und mit Jesus verbunden sein. Die zweite: zurück zu der Welt, die Gott so sehr geliebt hat, dass er seinen Sohn sandte.»

Zum Beispiel an die Universitäten

Für ihn persönlich bedeutet das auch das Engagement in der Universität, wo der Glaube reflektiert wird, um angemessene Antworten auf die Probleme der Zeit geben zu können. Dürr: «Ich erlebe, dass der Glaube immer noch einen Beitrag leisten kann zu dieser Gesellschaft – wenn er vernünftig artikuliert wird.» Er erlebt aber auch eine gewisse Trennung im deutschsprachigen Europa. «Die Pietisten und Frommen haben sich vor 200 Jahren zurückgezogen von den Universitäten, weil sie der historisch-kritischen Methode aus dem Weg gehen wollten.» Sie hätten damals wohl gute Gründe dafür gehabt. Doch damit hätten sie ihren Einfluss auf die akademische Welt aufgegeben. Dürr: «Hier gilt es, einen Graben zu überbrücken.»

Geht die Sonne über Europa unter?

Die Frage, ob die europäische Kultur am Untergehen ist, wie Mangalwadi befürchtet, beantwortet Dürr vorsichtig. Er erinnert dazu an die Worte von Angela Merkel, die bei ihrem Schweizer Besuch in Bern auf die Frage eines Gastes antwortete, statt uns aufzuregen über Muslime, die den Koran kennen, könnten wir ja auch mal wieder die Bibel lesen (siehe Livenet-Artikel). Und Dürr fügt hinzu: «Wenn für uns nur der wirtschaftliche Fortschritt zählt oder ob wir zweimal im Jahr in die Ferien können – dann geht über Europa die Sonne unter. Aber wenn wir einen lebendigen Glauben haben, der zu Glaube, Hoffnung und Liebe inspiriert, dann haben wir etwas weiterzugeben.»

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Datum: 13.07.2017
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / Chrischona Panorama

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