Verletzte Seelen können nicht lieben

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Claudia und Eberhard Mühlan

Klaus und Harriet wollten ein paar harmonische Ferientage im Bayrischen Wald verbringen. Ihr Ausflugsziel war der Hohe Arber. Mit der Seilbahn fuhren sie hoch zum Gipfelplateau. Dort konnte man einen herrlichen Rundgang machen. Doch plötzlich hatte Harriet keine Lust. "Geh lieber allein!", warf sie Klaus hin, "ich habe sowieso nicht die richtigen Schuhe mit!". Klaus schluckte seine Enttäuschung hinunter und machte sich wortlos auf den Weg. Die Reaktion seiner Frau wurmte ihn.

Beim Rückweg schnitt er das Thema nochmals an. Ein Wort gab das andere. Schweigend fuhren sie mit der Seilbahn zu Tal.. Auf der Rückfahrt mit dem Auto, folgte ein weiterer Wortwechsel und Harriet stieg aus und ging zu Fuss. Mit den Worten: "dann steig eben aus!", hatten sie sich getrennt. Zwei Stunden später packte Klaus das schlechte Gewissen, er begann Harriet zu suchen. Überall, doch sie war nirgends zu finden. Er bekam Angst. Wieder zu Hause nahm Klaus die Bibel zur Hand und las daraus: "Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht vor dir weichen ... Diese Worte dämpften seine Ängste und ein tiefer Frieden kam über ihn.

Traumatisierte Jugend

In der Zwischenzeit sass Harriet am Wasser versunken in negativen Gedanken versunken. "Es hat doch alles keinen Sinn mit unserer Ehe. Spring doch von der Brücke dort, dann ist all dein Kummer vorbei!", durchfuhr es sie. Harriet ging es immer schlechter. Doch plötzlich bekam sie einen klaren Kopf. Entschlossen stand sie auf und machte sich auf den Heimweg. Später stellte sich heraus, dass Klaus genau zu dieser Zeit für sie gebetet hatte. Dies war also nun nach Jahren der erste ernsthafte Rückfall in alte Gewohnheiten.

19 Jahre ihrer Ehe hatten sie auf diese Weise miteinander gestritten. Nachdem beide den Glauben an Jesus gefunden hatten, begann ein seelischer Heilungsprozess und Stabilität kam in ihre Ehe. Obwohl sich beide liebten und sich auch Gutes tun wollten, war ihre Ehe trotzdem beeinträchtigt durch die seelischen Verletzungen aus Harriets traumatischer Kindheit. Damals wollte sich ihre Mutter während der Schwangerschaft ertränken. Harriet war ein uneheliches Kind! Der Freund der Mutter fiel im Krieg, bevor Harriet zur Welt kam.

Die Grosseltern nahmen die Kleine wie ihr eigenes Kind auf, und sie durfte die ersten zweieinhalb Jahre bei ihnen verbringen. Als Mutter heiratete, wurde sie sofort adoptiert. Der neue Vater war sehr kinderlieb. Doch fiel auch er an der Front, noch bevor seine eigene Tochter Doris geboren war. Im Sommer 1944 mussten sie aus Tilsit flüchten. Zu Hause spürte Harriet, wie Doris ihr vorgezogen wurde. Mutter kleidete sie hübscher und drehte ihr die Locken. Die Verwandten schickten ihr Pakete, sie ging leer aus. Obwohl Harriet die Klassenbeste war, lobte ihre Mutter sie nie. Sie strengte sich sehr an, putzte das Haus, ging einkaufen, aber nie hörte sie ein Wort des Lobes aus ihrem Mund. Ihre Liebe holte sie sich bei ihren Grosseltern.

Hass und Schläge

Als Mutter zum dritten Mal mit einem Mann anbändelte, begann eine schlimme Zeit. Trotz grossen Zänkereien und sogar Schlägen heiratete Mutter den zehn Jahre älteren Unhold. Wenn Harriet dazwischen trat, musste sie selbst Prügel und Fusstritte einstecken. Nach der Geburt von Reimar lag Mutter nierenkrank im Bett und Harriet musste für den Kleinen sorgen. Sie hasste ihren Stiefvater, aber Mutter blieb bei ihm. Dann zogen sie in eine Kleinstadt und wohnten einsam am Waldrand. Wenn sie geschlagen wurden, hörte es niemand! Harriet hatte kaum Kontakt zu andern Kindern ihres Alters. In der Schule war sie nach wie vor bei den Besten. Als Harriet zwölf Jahre alt war, fand ihre Mutter bei einer Evangelisation den Glauben an Jesus. Sie war voller Vergebung ihrem Mann gegenüber und voller Liebe für ihre Kinder. Harriets Bitte sich scheiden zu lassen, stiessen aber auf taube Ohren. Als die Mutter vier Jahre später bei der Geburt ihres vierten Kindes starb, lief Harriet wie von Sinnen nachts durch den Wald. Sie schwor, nie so zu werden wie ihre Mutter! Harriet wurde psychisch krank, erbrach nach jedem Essen und magerte stark ab.

Das eigene Leben

Sobald sie achtzehn war, verliess sie ihre Familie und wurde Krankenschwester. Sie begann als Hilfsschwester in einer psychiatrischen Klinik, um Geld für die medizinische Fachschule zu verdienen. Hungernd nach Liebe verknallte sie sich in einen Patienten. Sie gingen heimlich aus, denn die Leitung der Klinik durfte nichts erfahren. Als es dann doch herauskam, gestand er ihr, verlobt zu sein. Ich brach das Herz. In ihr war alles erstarrt. Sie nahm eine Menge Schlaftabletten, aber eben doch zu wenig. Nach dem Selbstmordversuch trieb sie sich in Kneipen herum und bändelte mit Männer an. Sie verfiel in eine tiefe Depression. Nochmals versuchte sie sich das Leben zu nehmen.

Dann mit zwanzig lernte sie Klaus kennen. Es war "Liebe auf den ersten Blick". Schon bald heirateten sie und einige Monate nach der Trauung brachte sie ihren ersten Sohn zur Welt. Trotz der Liebe kam es aber immer wieder zu heftigen Streitereien und endlosen Machtkämpfen. Klaus war behütet aufgewachsen. Die ganze Familie lebte in Eintracht und Harmonie. Er kannte Geschrei und Wutausbrüche nicht und war unfähig sich verbal durchzusetzen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Harriets Attacken mit ihren seelischen Verletzungen aus der Vergangenheit zu tun hatten. Sie fühlte sich nämlich von allen Menschen abgelehnt. Gegen Männer hegte sie eine tiefe Verachtung. Irgendetwas war in ihr verklemmt und voller Widersprüche. Klaus war für sie ein grüner Junge, viel zu lieb. Was sie suchte, war eine Vaterfigur, eine Persönlichkeit, die sie in den Arm nahm. Nach kurzem, anfänglichem Eheglück sah es für Klaus bald miserabel aus. Er überliess Harriet die Führung der Familie und zog sich mehr und mehr zurück.

Ablehnung

Harriet hatte ein Problem mit anderen Leuten, wenn sie nicht gleich beachtet wurde, fühlte sie sich ausgeschlossen und missverstanden. Vergass Klaus etwas zu tun, was er versprochen hatte, glaubte sie, er wolle sie ärgern. Dann stellten sich auch noch Depressionen ein. Nach einer Lebererkrankung sah sie sich schon dahinsiechen. Doch dann kam ein Evangelisations-Team in ihre Stadt. Aus Neugierde ging sie zu dieser religiösen Veranstaltung hin, und ihr kam die damalige Veränderung und den neuen Glauben ihrer Mutter wieder in den Sinn. Auch sie wünschten sich inneren Frieden, verbunden mit der Sehnsucht von aller Schuld und Belastungen frei zu werden. Am letzten Abend brach ihre Fassade zusammen. Sie nahm bewusst ein neues Leben mit Jesus auf und eine innere Zentnerlast fiel von ihr ab. Ein halbes Jahr später vollzog auch Klaus diesen Schritt. Harriet wurde wieder gesund und langsam heilten auch die seelischen Verletzungen.

Klaus nahm sich vor, Familienandachten zu halten und die geistliche Führung seiner Familie in die Hand zu nehmen. Harriet bemühte sich eine hingebungsvolle Ehefrau zu sein. Theoretisch war alles klar, aber praktisch klappte es doch nicht. Fast drei Jahre fuhren die beiden regelmässig zu Eheseminaren und jedes Mal kamen sie ein Stück weiter. Einmal war das Thema "Ablehnung" dran. Der Referent erläuterte, dass manche Kinder schon im Mutterleib Ablehnung erfahren hätten, war sich ein ganzes Leben bemerkbar machen kann, besonders wenn sich die Ablehnung in der Kindheit fortsetzte.

Wertschätzung und Vergebung

Im Einzelgespräch konnte sie einige Zusammenhänge entdecken. Sie war in der Lage ihrer Mutter zu vergeben und die Ablehnung", die sich in ihrer Persönlichkeit festgesetzt hatte, wich mit der Hilfe von Jesus. Danach wurde die Beziehung zu Klaus und den Kindern anders. Sie konnte liebevoller, geduldiger und verständnisvoller mit ihrem Mann und den Kindern umgehen.

Endlich war sie auch soweit, ihrem Stiefvater vergeben zu können. Der Hass gegen ihn und eine grundsätzliche Haltung der Unversöhnlichkeit hatte sie lange beherrscht. Sie erkannte, dass sie durch ihren Schwur als Teenager unter einem Fluch stand "nie so zu werden wie ihre Mutter", von dem sie sich erst befreien musste. Danach klappte es auch mit der Sexualität besser. Sie verstanden jetzt, einander anzunehmen, wie sie waren. Keiner stellte übertriebene Forderungen, keiner musste Vorleistungen erbringen, und das brachte sie näher zueinander.

Nach wie vor war Ablehnung für Harriet ein empfindlicher Bereich. "Man darf keine negativen Gedanken zulassen und muss sich immer wieder entscheiden, zu vergeben und nicht nachzutragen. "Im Verstand geht es recht gut, aber die Gefühle in den Griff zu bekommen, gelingt nur mit Jesus Hilfe", berichtete Harriet.

Für Klaus und Harriet gab es noch eine Lektion zu lernen: das biblische Zusammenleben von Mann und Frau. Nach 19 Jahren falschem Einüben, konnte dies nicht über Nacht geschehen. Wachsen in einer Ehe und die erneute Wertschätzung, verzeihen können, fiel ihr zunehmend leichter. Gleichzeitig ermutigte sie ihren Mann, die Leitung in der Familie zu praktizieren. Sie begannen alles miteinander zu besprechen. Manchmal gab es aber auch Situationen, bei denen eine letzte Entscheidung gefällt werden musste. Jetzt fiel diese Rolle neu dem Mann zu. Harriet konnte dies nun annehmen, ohne sich bevormundet und unterdrückt zu fühlen.

Datum: 17.05.2002
Autor: Eberhard Mühlan

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