Aus Nordkorea geflohen

Auf der Suche nach Essen fand meine Seele Nahrung

Die Hälfte ihrer Familie starb in Nordkorea durch das Regime oder verhungerte. Als Jin Hye Jo aus ihrer Heimat flieht und in China nach Nahrungsmitteln sucht, findet sie noch mehr, als sie sich je hätte träumen lassen.
Jin Hye Jo
v.l.n.r.: Eun, die Schwester Jin Hyes, Pastor Philip Buck, Suzanne Scholte, Pastor Heemoon Lee (Vize-Präsident der «NK Freedom Coalition») und Jin Hye

In den 1990er Jahren herrschte eine starke Trockenheit in Nordkorea. Die Sowjetunion war zusammengebrochen und deswegen gab es keine Lebensmittelpakete mehr aus dieser Richtung. Unser Land und auch meine Familie litt furchtbaren Hunger. Alles, was irgendwie essbar war, wurde verwertet. Wir assen sogar Gras und die Rinde von Pinienbäumen.

Und bei all dem erzählte uns die Kommunistische Partei, dass wir dankbar sein müssten. Denn allein dank ihnen wären wir noch am Leben und Schuld an unserer Misere wären die USA und Südkorea.

Ein Verbrechen mit Folgen

1997 wussten meine Eltern nicht mehr ein noch aus. Und so beschlossen sie, ein Verbrechen zu begehen. Ganz heimlich wollten sie die Grenze nach China überqueren, um dort Essen zu kaufen. Mit allem, was sie tragen konnten, wollten sie zurückkommen.

In China angekommen, waren sie geschockt von den Bergen an Essen, die dort jedem zur Verfügung standen. Und nach einer Woche kehrten sie wieder heim mit einem Sack voller Reis. Noch zwei weitere Male wagten sie die riskante Reise nach China, um Essen zu besorgen, doch das dritte Mal flogen sie auf. Ein Nachbar hatte den Staat informiert.

Mein Vater wurde sofort festgenommen und abgeführt und am nächsten Tag kam die Polizei noch einmal und nahm meine Mutter mit. Während eines Verhörs wurde sie brutal zusammengeschlagen. Andere traten meiner Mutter mit Stiefeln auf ihre Hände und der einzige Grund, warum sie sie nicht totschlugen, war wohl, weil sie zu dem Zeitpunkt schwanger war. Meine Mutter kam blutig und blau geschlagen nach Hause und hatte vier Schädelfraktionen.

Meinen Vater sah ich nie wieder. Später erfuhr ich, dass er im Gefängnis verhungert war. Zehn Tage lang stand er mit nach oben gebundenen Händen in einer Zelle, ohne Essen und Trinken.

Allein mit dem Hunger  

Wieder plagte uns der Hunger. Den Reis, den meine Eltern von ihrer dritten Reise mitgebracht hatten, war vom Staat beschlagnahmt worden. Meine schwangere Mutter war krank und geschwächt. Und so beschloss meine ältere Schwester, nach China zu laufen, um für unser Überleben zu sorgen. Doch sie kam nie zurück. Später hörten wir, dass sie von Menschenhändlern aufgegriffen und verkauft worden war.

Wenige Monate später wurde mein kleiner Bruder geboren. Kaum wieder auf den Beinen, zog meine Mutter los, um noch einmal nach China zu gehen. Sie wollte meine Schwester finden und Essen mitbringen. Doch während meine Mutter weg war, starb mein neugeborener Bruder. Völlig geschwächt verhungerte er in meinen Armen und ich hatte nichts, was ich ihm hätte geben können. Wenig später starb auch meine Grossmutter. In ihrem Todeskampf fantasierte sie von einer gekochten Kartoffel. In weniger als nur einem Jahr, war die Hälfte meiner Familie gestorben oder verschwunden.

Flucht nach China

1998 stürmten Polizeibeamte eines Nachts unser Haus und zündeten alles an. Das war die Strafe, weil meine Eltern Gesetzesbrecher waren. Nun waren wir auch noch obdachlos. Unsere einzige Chance zu überleben war es, gemeinsam nach China zu fliehen.

Die Grenze war fast 200 Kilometer entfernt. Ich war elf Jahre alt, meine Schwester war sieben und mein kleiner Bruder fünf. Schuhe hatten wir nicht. Schwach vor Hunger und mit Blasen an den Füssen liefen wir nachts und versteckten uns tagsüber. Unsere Mutter selbst war von der Folter im Gefängnis so geschwächt, dass sie kaum Kraft hatte, sich um uns zu kümmern.

In einem Dorf machten wir halt bei einer Familie, der wir vertrauten. Und weil vor uns die Reise über die Berge und durch den Fluss Tumen lag, entschied meine Mutter, erst mit meiner Schwester und mir weiterzuziehen und sobald wir in Sicherheit waren, meinen kleinen Bruder nachzuholen. Bo Kum sollte bis dahin bei der Familie bleiben und meine Mutter versprach ihnen, im Gegenzug Reis aus China bringen.  

Mein Bruder Bo Kum war verzweifelt, als er uns weiterziehen sah: «Warum nimmst du meine Schwestern mit, aber nicht mich?», weinte er und klammerte sich an unsere Beine. Meine Mutter versprach ihm, in fünf Tagen zurückzukommen und ihn zu holen und um ihn zu beruhigen, versprach sie ihm Kekse und Süssigkeiten.

Doch dazu kam es nicht. Der Tumen Fluss war schon zu hoch angestiegen und es war unmöglich, ihn zu überqueren. Wir konnten ja alle nicht schwimmen. Wir versteckten uns also in den Feldern und die Weiterreise verzögerte sich. Doch die Familie, bei der Bo Kum geblieben war, glaubte nach fünf Tagen, dass wir nicht mehr zurückkehren würden und warfen meinen Bruder raus. So verhungerte mein fünfjähriger Bruder ganz allein auf der Strasse. Als meine Mutter von seinem Tod erfuhr, zerbrach etwas in ihr. Bis heute kann sie sich nicht verzeihen, ihn nicht doch gleich mitgenommen zu haben.

Mehr als nur Überleben

Meine Mutter, meine Schwester und ich lebten nun in China versteckt als illegale Flüchtlinge. Eines Tages lief ich einen Hügel hinunter und hörte seltsame Musik aus einer Hütte kommen. Es war eine christliche Hymne und so etwas hatte ich noch nie zuvor gehört. Sie sangen: «Vater, ich strecke meine Hände nach dir aus.» Wie hypnotisiert blieb ich stehen und hörte gebannt zu. Und wie ich da stand, kam eine alte Grossmutter aus der Hütte und sagte zu mir: «Hier ist ein Ort für Menschen, die müde und schwach sind. Hier kann man Heilung und Nahrung für die Seele finden.» Ich war fasziniert.

So ging ich mit der Grossmutter in die Hütte und lernte dort sehr freundliche Menschen kennen. Sie schienen so glücklich. Heimlich ging ich immer wieder hin und hörte zu, wenn sie aus der Bibel vorlasen. Und alles, was ich daraus hörte, faszinierte mich. Ich fing an, mir ganze Bibelverse einzuprägen, denn sie berührten mich zutiefst und schenkten mir Trost und Mut.

Ich wusste tief in mir: Ich bin nicht alleine. Jesus kennt mich und tröstet mein Herz. Und es dauerte nicht lange, da wollte ich Christ werden und Jesus in mein Leben einladen. Während die Missionare mit mir beteten, spürte ich, wie mich der Heilige Geist erfüllte. Und mit ihm ein tiefer Frieden und eine Freude, wie ich sie nie gekannt hatte. Es war wie ein Essen für meine Seele, die lange Zeit gehungert hatte. Wenig später fanden auch meine Mutter und meine Schwester zu Jesus.

Neue Heimat

Zehn Jahre blieben wir heimlich in China zuerst bei Verwandten und dann bei Freunden. Koreanische Missionare halfen uns in dieser Zeit. Doch irgendwann wurden wir von der Regierung entdeckt und zurück nach Nordkorea geschickt, ins Waisenhaus und in ein Umerziehungslager. Noch einmal gelang uns die Flucht nach China.

Wir wussten, dass wir auch dort nicht bleiben konnten, doch Dank der Hilfe der Missionare und vieler Spenden aus dem Ausland, konnten wir einen Antrag stellen, in die USA zu gehen. Nach zwei Monaten kam der Bescheid, dass wir Asyl in den USA bekommen würden.

Heute leben wir in den USA. Meine Mutter arbeitet in einem Seniorenheim, meine Schwester und ich in einem Büro und wir gehen auf die Abendschule. Wenn ich auf mein Leben zurückschaue, weiss ich, dass ich Schlimmes erleben musste. Und doch bin ich dankbar, denn ich habe das Wichtigste gefunden, das ein Mensch haben kann: Jesus. Wenn ich meinen Schulabschluss erreicht habe, möchte ich Theologie studieren und dann möchte ich zurück gehen nach Nordkorea und anderen Menschen die Botschaft bringen, dass Jesus rettet.

Datum: 13.04.2013
Autor: Miriam Hinrichs
Quelle: Godreports.com

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